Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,
eben geht der Sommer zu Ende, man hatte es mit allem ein wenig legerer gehalten für eine erträgliche Leichtigkeit des Seins. Nun richtet sich unsere Neugier wieder auf Kino, Museum, Oper. Dieser maecenas enthält eine Fülle von Anregungen, insbesondere für Cineast:innen. Lassen Sie sich mit dem aus dem Jiddischen übersetzten Gedicht Ich bin der Herbst von Itzik Manger vom Laisser-faire des Sommers tragen in ein anderes Licht, in eine andere Farbpalette,
kurzum: in den Herbst. Viel Vergnügen und manche Entdeckung wünscht Ihnen
Ihre
Eva Claudia Scholtz
Geschäftsführerin der
Hessischen Kulturstiftung
Ich bin der Herbst
Itzik Manger (1901–1969)
Ich bin der Herbst und treibe heim
die müde Herde schwarzer Schafe
und verriegle sie im Stall
Auf Stroh, auf goldenem, und schlafe.
Was sagt der Wind zum Apfelbaum?
Was sagt der Stern zur Nacht?
Was sagt der Geher auf dem Weg,
der traurig geht und lacht?
Sie sagen, daß du bist der Herr,
der stillste König von dem Land,
und ihr Geschick, das bei dir liegt,
ein roter Faden in dem Land.
– Geh, sage ihnen, ich habe recht
Und daß ich auf der Flöte spiel
den Gram von all den müden Schritten,
die zu mir kommen leis und still.
– Was funkelt dort in jener Scheib?
Ein Licht … Ein gelb-erschrockenes Licht …
– Septemberwind, du goldenes Kind,
was will von mir das gelbe Licht?
– Maruschka, die Zigeunerin,
sie spinnt für dich das Regenhemd.
Sie hat dich lieb, nur weil du bist
wie sie, ein Fremder in der Fremd.
– Geh, sag ihr, daß ich hab für sie
Die schönsten Äpfel vorbereit’,
ein Kettchen von Korallen und –
ein dünn und farbig Wolkenkleid.
Geh, sage ihr, daß ich sie nicht
Gekannt, sie immer nur geahnt,
und oft in meinem Traum gefühlt
die heiße braune Hand.
Geh, sage ihr, daß ich zu ihr komm
und ihr die schöne Weise biete –
nur, daß einstweilen sie noch
Schläft in meiner braunen Flöte.
Das Gedicht im Editorial haben wir diesem Band entnommen:
Itzak Manger: Dunkelgold. Gedichte
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2016, S.45.