Editorial
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,
„unser Sommer ist nur ein grün angestrichener Winter“, so schilderte Heinrich Heine vor rund zweihundert Jahren einer hitzeverwöhnten Trienterin den Sommer in hiesigen Breiten. Sein Farbeindruck vom Blätter- und Wiesengrün lässt sich nachvollziehen, sein winterlicher Temperatureindruck beileibe nicht. Ein grünes Blatt „aus sommerlichen Tagen“ wird bei Theodor Storm zum pars pro toto einer tönenden Waldsymphonie in Grün. In Worten und Bildern ist der Sommer gemeinhin eine schillernde Chiffre für alles Gesteigerte, vornehmlich in der grün gefärbten Natur. Ungewöhnlich und erfrischend unterkühlt ist der lakonische Ton des folgenden Gedichts, das im selbstverständlichen Image des Sommers das gewöhnliche Etwas anklingen lässt.
Ihre
Eva Claudia Scholtz
Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung
Limonade im Grünen
Rolf Dieter Brinkmann
1940–1975
Was wir einen Platz nennen,
ist oft nur ein Stuhl.
Man setzt sich hin und
blickt auf etwas, das grün ist.
Es sind Blätter. Das ist alles,
was man weiß. Es reicht
gewöhnlich aus. Eines Nachmittags
im Sommer kam ich ebenfalls
dorthin und setzte mich. Ich
wußte, daß dieser Platz besetzt
war, obwohl es nur ein Stuhl war,
der im Grünen stand. Ich sah
genauso auf „die Blätter“, und
dann stand ich wieder auf.