stipendiatin
christiane kues
Gut möglich, dass die Ankündigung „The best thing that ever happened to art books: Printed Matter’s LA Art Book Fair 2015“ ein wenig breitbeinig Träume von Big Books und Big Deals an kalifornischen Gestaden wachruft. Unsere Reisestipendiatin Christiane Kues, derzeit in Los Angeles, hat die Künstlerbuchmesse besucht und war – begeistert. Als eine der aktuellen Plattformen für artist writers und andere, mit Verbindungen zu Literatur, Popkultur, Film, Wissenschaft und Theorie arbeitende Künstlerinnen und Künstler verweist Printed Matters auf die seit den 1960er Jahren wirkmächtige West Coast Conceptual Art, auf Namen wie Ed Ruscha, John Baldessari oder auch Barbara Kruger.
Christiane Kues (*1982) hat sich in den vergangenen Monaten in den gegenwärtigen Communities der kalifornischen Konzeptkunstszene umgesehen, um mit der konkreten Erfahrung auch ihre eigene künstlerische Arbeit in den Medien Fotografie, Zeichnung und theoretischer Text weiterzuentwickeln. Sie hat 2010 ihr Studium der Freien Kunst und Fotografie an der Kunstakademie Düsseldorf bei Thomas Ruff, Albrecht Fuchs, Benjamin Katz und Christopher Williams abgeschlossen und forscht seither im Rahmen eines Promotionsvorhabens an der Wiener Akademie der Bildenden Künste zu zeitgenössischen künstlerisch-wissenschaftlichen Praktiken und Netzwerken.
Neben verschiedenen Ausstellungen, zum Beispiel in Düsseldorf Mit einem Weg zehn Wege sparen, PARKHAUS im Malkastenpark (2007) und Pure Pigment, Walzwerkstraße 17 (2010) hat Christiane Kues Buchprojekte realisiert, unter anderem I know why the cage bird sings zusammen mit Sarah Kürten (2008).
Über den aktuellen Stand ihres Stipendiumsprojektes berichtet die Künstlerin im Folgenden, in Fotografie und Text.
Vor Ort wird sie in den kommenden Wochen in der Writer’s Residency des Magazins X-TRA Contemporary Art Quarterly arbeiten: The Project X Writer’s Desk at Outpost@Armory at Armory Center for the Arts, Los Angeles.
Ein Jahr in Los Angeles: die Stadt als alltägliche Reise. Bis sich das Autofahren vom riskanten Erlebnis zum alltäglichen Wahrnehmen verändert, vergehen Monate der Navigation. Die Freeways und Boulevards sind das wichtigste Merkmal der Stadt, deren horizontale Agglomeration manche Landesgrenzen übergeht. Die unzähligen Beschreibungen, Filme, Bilder und Geschichten, die diese Metropole als amerikanischen Traum oder dessen Alptraum darstellen. Alle Beschreibungen lassen sich an genügend Orten, Drehorten und öffentlichen Meinungen genau dessen vergewissern und visualisieren. ‚A seriously weird place‘ – darin stecken Kritiken und Inspirationen. Der Regisseur und CalArts Professor Thom Anderson hat in seinem Essayfilm Los Angeles Plays Itself zusammengefasst, was mit den filmischen Beschreibungen über das Stadtbild von Los Angeles schon gesagt wurde. Und auch, dass Los Angeles mit der Qualität eines eigenständigen Charakters sich gerne selbst spielt. Ob als Kulturindustrie / Entertainment Capital of the World, als Sitz von Großunternehmen, Größenwahn, exzentrischen Eigentümern, spirituellen Lebensstilen, diversen Kulturgeschichten und dem Gegenüber von Dystopie – Segregation, Skid Row, Kriminalität, Menschenhandel, Wüste und Wasteland. Tage aus Stau, Staub, Überfällen, Unfällen, gleißendem Licht und den scheinbar versöhnenden Sonnenuntergängen über Downtown Skid Row bis zum Pazifik. Gegenüber großen Typologien der Stadt stehen viele Subkulturen und vernakulare Geschichten. Die Kunstszene nimmt einen weitaus kleineren Platz im Gegenüber der Kulturindustrie Hollywoods ein. Die renommierten Kunsthochschulen Kaliforniens und die konzeptuellen Post-Studio Artists haben die Kunstszene international und als Schnittstelle von künstlerischen Ansätzen, zum Beispiel West Coast conceptualism, Pop, Assemblage, Institutionskritik, aktivistische und feministische Kunst, etabliert.
Meine Zeit zum Forschen und Dokumentieren habe ich den Artist Writings, Konzepten und theoretischen Texten von den Anfängen der Konzeptkunst bis in die Gegenwart dieser Stadt gewidmet. Texte von Autoren aus dem Kunstkontext und der endlose Markt an Publikationen – printed matters. Dazu die Hochkonjunktur an Initiativen von Künstler_Innen, die Theorie und Praxis zusammenführen: Ob in politischen Lesegruppen (mit Thomas Piketty-Lektüre), Performanceabenden, Diskursen, Radiosendungen, Schreibworkshops usw. Im gentrifizierten Stadtteil Echo Park treffen sich feministische Lesezirkel im Park und Arts & Crafts-Interessierte führen Keramik- und Schmuckdesign bei der City Hall vor. Am anderen Ende, in West Hollywood (Public Library), werden Größen europäischer und amerikanischer Theorie vorgeführt, von Jacques Rancière bis Judith Butler.
Zwischen ‚artist-initiatives‘ und ‚printed matters‘ erhält sich ein unverwüstlicher Do-it-yourself Optimismus, der nahe an die neoliberalen Produktionsstrategien der Creative Industries herantritt. Dieser Optimismus entstand in L. A.’s Space Age, den Gründungsjahren von mehr als 40 artist-run spaces und initiatives im Zeitraum von 1978 bis 1988. Seit 2012 gibt es die Kunstbiennale Made in L. A., anlässlich derer ein umfangreiches Verzeichnis der L. A. Artist-Run-Organizations erschien. Die Zusammenkünfte haben relevante politische Texte, Ausstellungen und Agendas formuliert, die zur Grundlage der aktuellen Auseinandersetzung geworden sind.
Die gegenwärtige Rolle von Artist Writings als Praxis- sowie Theoriediskurs und die Relevanz recherchebasierter Arbeiten und visueller Kultur werde ich in meiner Publikation aufgreifen: Geplant ist ein dreiteiliges Journal, welches auf Theorien der Praxis fokussiert sein soll. Meine eigene theoretische Praxis sowie Beiträge von anderen Autor_Innen werden darin zusammengeführt werden. Die Autor_Innen aus unterschiedlichen Disziplinen werden sich zur Rolle von Praxistheorien als Schnittstelle äußern.
Die erste Ausgabe des Journals widmet sich Autoren aus Los Angeles. Das offene Konzept schließt an den Diskurs zu Practice-based Research, Artistic Research oder Künstlerische Forschung an.