editorial

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

Geschenke sind mächtige und gelegentlich zwiespältige Werkzeuge in zwischenmenschlichen Beziehungen; davon kann nicht nur Laokoon ein Lied singen. Das griechische Geschenk an Troja als kriegsentscheidende List ist ein prominentes Beispiel dafür. Üblicherweise etabliert oder stärkt das Schenken als altruistische Geste eine positive zwischenmenschliche Beziehung und ist – zumindest oberflächlich – nicht mit einer Erwartung oder gar einer Gegenleistung verknüpft. Sehr wohl aber können Geschenke auch Kinder trösten, uns anderen gewogen machen, zu einer Versöhnung führen oder zu einem Geschäftsabschluss. In der Soziologie werden Präsente entsprechend als soziale Sanktion bezeichnet, als ein Akt der Einflussnahme. Dabei zeigt sich die Intention des Schenkenden gelegentlich recht schnell, etwa im Falle Trojas. Vielleicht rührt unsere Freude daran, Geschenke zu verpacken, auch daher, ihre Funktion zwischen Gabe, Ware oder Täuschung noch ein wenig in der Schwebe zu halten.

Das Geschenk und seine diffusen Einflussnahmen sind ein Aspekt der jüngsten Arbeit Gift von Julian Irlinger, die er mithilfe eines Reisestipendiums der Hessischen Kulturstiftung im Archiv des Wende Museums in Los Angeles entwickelt hat. In diesem Museum, das sich der deutschen Wiedervereinigung widmet, untersuchte er den Prozess der Geschichtsschreibung anhand der Archivierung von Artefakten und Dokumenten. Dabei hat er aus seiner Familienbiografie eine eigene Gabe für das Archiv entwickelt, die als authentisches Artefakt und zugleich als Kunstwerk im Archiv den Prozess der Geschichtsschreibung beeinflusst.

In diesem Jahr feiern wir außerdem im Herbst das 30. Jubiläum der deutschen Wiedervereinigung! Das Schleifen der Grenze hat dabei nicht nur zu einer Vereinigung der beiden deutschen Staaten geführt, sondern zu einem kreativen Prozess, der die Grenze selbst transformierte, zu einem Museum, Mahnmal und Naturschutzgebiet.

Grenzüberschreitungen zeichnen auch die beiden Künstler aus, die wir Ihnen in diesem maecenas vorstellen möchten. Im Fridericianum in Kassel beschäftigt sich der Klangkünstler und Komponist für elektronische Musik Tarek Atoui mit dem Verhältnis von Klang, Form und Bewegung. Und mit einem umfassenden Katalog zur Ausstellungstätigkeit des Künstlers Marcel Broodthaers legt MMK-Direktorin Susanne Pfeffer eine umfassende Publikation zum Werk dieses Avantgardisten vor, in dessen Kunst sich Schrift und Bild über mediale Grenzen hinweg bewegen. Als Schaffender wie als Kurator gelangen Broodthaers auch Bedeutungstransformationen seiner Objekte hin zu einer Kritik des Kulturbetriebs und des Kunstmarkts. Ob Kunst Gabe oder Ware ist oder wie sie sich zu diesen Werten verhält, ist darüber hinaus zentrales Thema in den Arbeiten des Belgiers.

In eigener Sache begrüßen wir Dr. Sylvia Metz als unsere neue Beauftrage für das Stipendienprogramm der Hessischen Kulturstiftung und den Bereich Künstlerförderung. Herzlich willkommen im Team!

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre

Eva Claudia Scholtz
Geschäftsführerin

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