theater
„Ich fuhr neulich nach Kassel und war ganz überwältigt. Die Stadt ist nun aufgebaut, innen autofrei, Straßen buntgepflastert, Bänke und Tische stehn umher, mitten im Einkaufstrubel kannst du Liebesbriefe schreiben“, so berichtet Hans Jürgen von der Wense (1894 – 1966) im Sommer 1964 von einem Spaziergang durch die Stadt. Er war, unterwegs noch eine Rembrandt-Ausstellung („großartig“) einschiebend, auf dem Weg zur documenta III, die der wandernde Querdenker „mit absprecherischer Gereiztheit“ ansteuerte, nachdem er „auf den zwei vorigen (…) nur Snobwitze und Expertenposen“ ausgemacht hatte. Diesmal aber, so schreibt Wense weiter an einen Freund, „diesmal wurde dieser Besuch zu einem geradezu umstürzenden und elementaren Erlebnis!! Es gibtwieder die Kunst, es gibt sie, es gibt sie dennoch!“ (Zitiert aus J. v. d. Wense: Wanderjahre, Matthes & Seitz, Berlin 2009)
Heute, ein halbes Jahrhundert später, feiert man in Kassel das 60-jährige Jubiläum der documenta, die, 1955 von dem Künstler und Professor Arnold Bode gegründet, inzwischen in 13 Ausgaben stattgefunden hat. Das Museum der 100 Tage hat sich zur einer der weltweit wichtigsten Übersichtsschauen für zeitgenössische Kunst entwickelt und sorgt(e) weiter regelmäßig für überraschende Konzepte, provozierende Kunstwerke und kontroverse Debatten – gut so!
Neben zahlreichen Veranstaltungen zu diesem Anlass, – die nächste documenta findet erst 2017 statt –, zeigt das Kasseler Fridericianum in der zentralen Sonderausstellung eine Werk- schau des belgischen Künstlers Marcel Broodthaers (1924 – 1976). Auch er ein eigenwilliges Multitalent hätte vermutlich Wenses Interesse gefunden. Broodthaers war Autor, schrieb Gedichte und Essays im Umfeld der Pariser Surrealisten, bevor er 1964 beschloss, bildender Künstler zu werden. Von Anfang an verbindet er seine künstlerischen Strategien mit der Kritik an der Instru- mentalisierung und Kommerzialisierung des Kunstsystems und an der Deutungsmacht Museum. Er eröffnet 1968 in seiner Brüsseler Wohnung sein eigenes Musée d’Art Moderne, Département des Aigles, eine Institutionspersiflage, die er bis 1972 mit wechselnden Rauminstallationen bespielt und auf der documenta 5 abschließt. Bis zu seinem frühen Tod 1976 hat Broodthaers Einzelausstellungen in München, Basel, Berlin, Düsseldorf und London. Er löst Wort, Bild, Sprache und Alltagsrealitäten in der Tradition von Rene Magritte und Marcel Duchamp aus konventionellen Mustern und stellt Kunst in soziale und politische Bezüge. Sein vielseitiges Werk umfasst Rauminstallationen, Objekte, Skulpturen, Filme, Dia-Projektionen, Druckgrafiken und Zeichnungen, die in breiter Auswahl jetzt in Kassel vorgestellt werden.
- Marcel Broodthaers
- Bis 11. Oktober 2015
- Fridericianum, Friedrichsplatz 18, 34117 Kassel
- Telefon 0561 / 707 27 20
- Öffnungszeiten Di – So 11 – 18 Uhr
- www.fridericianum.org