© Nadine Fraczkowski
Nadine Fraczkowski: O. T., New York 2011 ©
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Nadine Fraczkowski: Raul, New York 2011 ©
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Nadine Fraczkowski: O. T., Texas 2011 ©
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Nadine Fraczkowski: Frontier Firearms, Tennessee 2011 ©
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Nadine Fraczkowski: Cruising Paris I, Paris 2011 ©
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 Nadine Fraczkowski: Lake Crook, Texas 2011 ©



stipendiatin
nadine fraczkowski

Ihr Studium der Visuellen Kommunikation an der HfG Offenbach hat Nadine Fraczkowski (*1977) 2005 mit einer Diplomarbeit abgeschlossen, die umgehend von dem Nachwuchsförderungsprojekt Gute Aussichten – Neue Deutsche Fotografie preisgekrönt und auf eine Ausstellungstournee unter anderem in die Goethe-Institute Istanbul und Washington geschickt wurde. Mit wahrnehmungstheoretischen Fragen beschäftigt sich die zur Zeit in Paris lebende Fotografin weiterhin: Sie untersucht unter anderem die Codierungen von Jugend- und Subkulturen in Bildern, die weniger auf Sensation, sondern vielmehr auf Einfühlung bauen.

Fraczkowskis Arbeiten waren unter anderem im ZKM Karlsruhe, 2010 bei La Générale en Manufacture in Sèvres / Paris, bei Bernhard Knaus Fine Art in Frankfurt am Main im vergangenen Jahr und zuletzt an der Cité Internationale des Arts Paris zu sehen. 

Im Interview haben wir Nadine Fraczkowski zu ihrem Reisestipendium der Hessischen Kulturstiftung befragt.

hks Frau Fraczkowksi, Sie sind häufig auf Reisen: Sie waren mit Ihrem Stipendium der Hessischen Kulturstiftung 2011 in den Vereinigten Staaten, leben in diesem Jahr überwiegend in Paris. Was haben Sie, abgesehen von Ihrer Fotoausrüstung, unterwegs immer dabei?

fraczkowski Meine vier verschiedenen Foto- und Videokameras, die ich immer überall mitnehme, sind eigentlich das Allerwichtigste. Außerdem habe ich ein paar Tücher, die schon ewig in meinem Besitz sind und sehr vielseitig Nutzen finden, falls es zu kalt, zu hell, zu schmutzig oder zu heiss ist irgendwo.

Es kommt natürlich darauf an, wo und wie ich unterwegs bin. Mit dem Stipendium der Hessischen Kulturstiftung hatte ich die Möglichkeit fast ein Jahr in den USA zu sein.

Nach einigen Monaten Aufenthalt in New York und verschiedenen kürzeren Reisen entlang der Ostküste bin ich nach Los Angeles geflogen, habe ich mir ein Auto gemietet und bin zwei Monate quer durchs Land zurück nach New York gefahren. Es war eine sehr spannende Erfahrung, besonders so viel Zeit alleine zu verbringen. Manchmal habe ich tagelang mit niemandem wirklich gesprochen und immer wieder die Entfernungen enorm unterschätzt.

hks Sie hatten sich als Stipendiumsprojekt ja eine Rundreise durch die USA vorgenommen, um die Situation von homosexuellen Gemeinschaften zu untersuchen. Was war Ihr Konzept und wie sind Sie vorgegangen?

fraczkowski Das Ziel meiner Reise war, einige der Staaten zu besuchen, in denen gleichgeschlechtliche Ehen und Lebensgemeinschaften von der jeweiligen Verfassung nicht geduldet werden. Auf meinem Weg lagen unter anderem Utah, Arizona und Texas. Ich habe dort die Lebenssituation, besonders von Jugendlichen, die sich nicht in der dortigen Norm einordnen können, beobachtet und meine Eindrücke fotografisch umgesetzt.

Meine Reise begann in Kalifornien. Nach einigen Tagen in der Wüste war mein erster Anlaufpunkt Salt Lake City in Utah, was auch das Zentrum der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) ist. Dort habe ich Kontakt aufgenommen mit dem Utah Pride Center. Die Mitarbeiter waren sehr hilfsbereit und haben mir viele Informationen gegeben über die aktuelle Situation in Salt Lake City. Dadurch konnte ich einiges über das Leben in der Mormonengemeinschaft erfahren, besonders in Bezug auf den Umgang mit Sexualität und Rauschmitteln. Der Konsum von Alkohol und Drogen ist für gläubige Mormonen offiziell nicht erlaubt. Der Gebrauch/Missbrauch von Antidepressiva und verschreibungspflichtigen Medikamenten in Utah ist hingegen einer der höchsten in den gesamten USA …

Die Mormonen und besonders auch die Fundamentalistische Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage haben sehr großes Interesse geweckt bei mir. Die Spuren dieser Kirche habe ich noch weiter verfolgt während meiner Reise und bin in Hilldale und Colorado City gelandet, zwei von dieser Gruppe sehr dominierte Orte, in denen die meisten Familien in polygamen Strukturen leben. Die Häuser sind hinter Zäunen und Mauern verborgen, ganz im Gegenteil zu der üblichen ausladenden Architektur amerikanischer Kleinstädte.

hks Was ist Ihr Punkt, Ihr Erkenntnisinteresse bei dieser Untersuchung heteronormativer Strukturen, vor allem auch die Verknüpfung zu Ihrer fotografischen Arbeit?

fraczkowski Schon lange beschäftige ich mich mit (hetero)normativen Strukturen, Subkulturen und deren Mechanismen. Ich finde es immer wieder faszinierend, welche Zeichen und Lebensweisen Menschen unabdinglich und immer wieder erneut entwickeln, besonders wenn sie sich mit einer bestimmten Gruppierung identifizieren können.

Die Erkenntnis ist immer wieder die Gleiche: Alles ist relativ. Jede ‚Norm‘ und jedes ‚Zeichen‘ verliert bzw. verändert seine Bedeutung, sobald es sein Ursprungsterrain verlässt. Dieser Übergang interessiert mich auch in meiner fotografischen Arbeit sehr.

Beispielsweise habe ich in Texas über lokale Cruising-Möglichkeiten recherchiert. Eine detaillierte Vorgehensweise und Wegbeschreibung zu einem abgelegenen See habe ich in Paris, Texas entdeckt. Zuerst erscheint dieser Ort wie ein verlassener Park, der irgendwann einmal als Ausflugsort für Familien diente. Doch mit den Zusatzinformationen, die ich hatte, hatte jeder Winkel natürlich eine völlig neue Bedeutung bekommen.

hks Ich kann mir vorstellen, dass die inneren und äußeren Widersprüche für die LGBTIQ-Communities in den USA und insbesondere in den stark religiös geprägten Staaten, die Sie besucht haben, enorm sind. Wenn ich Ihre fotografischen Reihen anschaue, die Porträts, die Orte der cruising areas und dann die der mobile homes, scheinen da aber dennoch wieder, in aller Ambivalenz, Aspekte des american dream auf? Und: Welche Erfahrungen machen Sie in Paris, Frankreich, wo Sie sich in den vergangenen Monaten mit den Codes der Jugendlichen in den Banlieues beschäftigt haben?

fraczkowksi Das Buch Amerika von Jean Baudrillard wurde zu einem sehr unterhaltsamen und gleichzeitig bezeichnenden Begleiter während meiner Reise. Folgendes Zitat trifft, wie ich finde, sehr gut die Ambivalenz des american dream, dessen inneliegende Hoffnung und Stolz: „Amerika ist weder Traum noch Realität, es ist Hyperrealität. Eine Hyperrealität, weil eine Utopie von Anfang an schon verwirklicht gelebt wurde. Alles ist hier wirklich und pragmatisch, alles lässt einen traumwandeln. Die amerikanische Wirklichkeit kann möglicherweise nur einem Europäer aufgehen, da nur er hier das perfekte Simulakrum der Immanenz und der materiellen Vorschrift aller Werte entdeckt.“

Ich habe bewusst darauf geachtet, beim Fotografieren erstmal zu beobachten. Es liegt mir sehr daran, nicht zum Voyeur zu werden, und ich wollte vermeiden, die ästhetischen Klischees Amerikas zu sehr zu bedienen (was sehr oft unvermeidbar erscheint).

Hier in Paris bin ich gleich zu Beginn auf die Zahlenkombinationen der Postleitzahlen einzelner Stadtteile gestoßen, die sich außer auf Wänden auch auf Jogginghosen, in Form von Ohrringen und anderen Schmuckstücken wiederfinden lassen. 75 steht beispielsweise für Paris Stadt, 93 für Seine-Saint-Denis oder 974 für La Réunion, einen der Départements d’outre-mer. Wie in vielen anderen Großstädten auch sind bestimmte Ziffern einem eingegrenzten Territorium zugeschrieben, mit dem sich identifiziert werden kann.

Ich war oft außerhalb der Périphérique unterwegs und habe einige Ideen gesammelt. Diese Arbeit ist bis jetzt noch nicht abgeschlossen …

hks Sie arbeiten im Moment an einer Publikation über die in Amerika entstandenen Fotos, wir sind sehr gespannt darauf und zeigen an dieser Stelle schon mal eine kleine Auswahl. Ich danke Ihnen für das Interview.

 

Die E-Mail-Korrespondenz führte Karin Görner.