dre Fotografien aus einer Serie von elf, Courtesy Galerie Kamm
Annette Kisling: Hoogstraat, 2005 ©
Fototapete, 92,5 × 121 cm, Bügelperlen auf Dibond, 50 × 67 cm © bei den Künstlern.
Saskia Schüler: Er hat immer für sie gekocht, 2009 ©
© Leonard Kahlcke, Frankfurt am Main
Leonard Kahlcke: Ohne Titel, Rotterdam, 2009, Fotografien ©
© Leonard Kahlcke, Frankfurt am Main
Leonard Kahlcke: Ohne Titel, Rotterdam, 2009 ©



rotterdam finale

Goodbye, Rotterdam! Die Stadt mit einer Geschichte voller Brüche, einem herben und zugleich fruchtbaren und freundlichen Geist hatte uns vor zehn Jahren in ihren Bann geschlagen. Sie gestattete unterschiedlichste Denk- und Schaffensansätze, ist von kühnem, poetischem und trotz scheinbarer Ordnung chaotischem Naturell. Wir wollten ihr eigentlich die Treue schwören. Eine andere Schöne kam dazwischen: Istanbul.

Keineswegs ist der Stimmungswechsel auf die einschneidenden politischen Veränderungen im niederländischen Kulturbereich zurückzuführen; das ist Koinzidenz. Es ist aber nicht zu leugnen, dass sich atmosphärische Veränderungen ergeben haben, die die zuvor inspirierenden Unterschiede jetzt in den Hintergrund treten ließen, es wurde uns eng und müde zu Mute. Alles ausgereizt?! Der Anker ist gelichtet und unser Schiffchen segelt weiter: in Richtung Morgenland, in ein Plus an Wärme und Chaos.

Danke, Rotterdam, für diese zauberhaften, 
anstrengenden und intensiven Jahre!

Claudia Scholtz

Annette Kisling

Atelierstipendium Rotterdam 2001 / 2002

Einer der Orte, die mich besonders in Rotterdam eingenommen haben, ist die Hoogstraat im Zentrum der Stadt. Ich habe die Hoogstraat 2002 gleich zu Beginn meines Aufenthaltes als lebendige, aber auch etwas heruntergekommene Einkaufsstraße kennengelernt. Die Bauweise der zum größten Teil zweigeschossigen Gebäude ist charakteristisch für die Architektur des Wiederaufbaus von Rotterdam in den 50er Jahren. Sonntags war die Straße meist menschenleer und wechselte ihre Erscheinung. Mein letzter Besuch in Rotterdam 2008 liegt nun mehr als drei Jahre zurück. Ich ha­­be erfahren, dass die Hoogstraat 2009 saniert wurde. Nicht nur das sollte ein Anlass für mich sein, Rotterdam ein weiteres Mal zu besuchen.

Tomás Saraceno

Atelierstipendium Rotterdam 2003 / 2004

It was a great time! The best grant I ever had!
Thanks and keep it forever.

Ingo Vetter

Atelierstipendium Rotterdam 2001 / 2002

Als ich vor zehn Jahren als erster Stipendiat nach Rotterdam ging, gab es noch keine Infrastruktur für den Aufenthalt. Das herzliche Willkommen, die Offenheit und Initiativfreude der Rotterdamer Kulturszene half jedoch, sich binnen kürzester Zeit in der Stadt zurechtzufinden. Viele der damals geknüpften Freundschaften und Kooperationen halten bis heute. Während meines Stipendiums beschäftigte ich mich mit mehreren urbanistischen Projekten sowie Kunst im öffentlichen Raum und profitierte sehr von der Nähe zu Institutionen wie Witte de With, Tent, Stroom, SKOR oder de Appel. Diese Einrichtungen haben spezifische Schwerpunkte und etablierten eine kulturelle Praxis, die wegweisend für den europäischen Diskurs waren und sind.

Vieles ist geschehen seit dieser Zeit. Der Mord an Pim Fortuyn und der darauf folgende rechtspopulistische Umschwung der Regierungspolitik hatte u.a. zur Folge, dass gerade Offenheit, Toleranz und Experimentierfreudigkeit infrage gestellt wurden. Einen deutlichen Ausdruck findet diese gesellschaftliche Veränderung in der kulturfeindlichen Stimmung, die vor allem von Geert Wilders und seiner Partei PVV geschürt wird.

Anfang Juli diesen Jahres war ich zuletzt zu Besuch in Holland und hörte von den 100% Budgetkürzungen für viele der Institutionen, die ich so sehr schätze. Es ist erstaunlich, mit welcher Boshaftigkeit und politischem Willen diese ehemals staatlich getragenen Einrichtungen demontiert werden. Und es ist erschreckend, wie schnell der Schaden angerichtet ist und wie bleibend der Verlust an Fähigkeiten und Wissen sein wird. Es ist eine dünne Schicht kulturellen Humus, in denen wir uns bewegen.

Karl Orton

Atelierstipendium Rotterdam 2009 / 2010

a melancholic thoughtful stagnation can produce startlingly strange fruits.

Silke Wagner

Atelierstipendium Rotterdam 2005 / 2006

Ich war von 2005 bis 2006 in Rotterdam. Die Stadt ähnelt Frankfurt in vielerlei Hinsicht: Es ist eine multikulturelle Stadt von überschaubarer Größe mit einer sehr lebendigen und vielseitigen Kunstszene, nicht so touristisch und „hübsch“ wie Amsterdam, mit architektonischen und gesellschaftlichen Brüchen. Die Zeit in Rotterdam bot mir vor allem die Möglichkeit, das Leben in Holland direkt kennenzulernen und zu erleben. Auch der Blick der Nachbarn auf Deutschland, die unterschiedlichen Betrachtungsweisen und Bewertungen von aktuellen Entwicklungen, haben meinen eigenen Standpunkt erweitert. Es war interessant, ein Land kennenzulernen, welches kulturpolitisch zum damaligen Zeitpunkt Vorbildcharakter hatte: Unterschiedliche Stipendienprogramme für KünstlerInnen, sehr gute Institutionen, mit SKOR eine einmalige Einrichtung zur Förderung von Kunst im öffentlichen Raum und mit der Mondriaan Foundation eine großzügige Stiftung für unterschiedliche Kunstprojekte und Institutionen nicht nur im eigenen Land. Das alles wird sich durch die massiven Einsparungen im Kulturbereich in der nächsten Zeit stark verändern. Es ist bedauerlich, dass sich die Hessische Kulturstiftung gerade jetzt von seinem Atelier- und Aufenthaltsstipendium in Rotterdam trennt. Es beizubehalten wäre vielleicht ein symbolischer Akt der Unterstützung gewesen.

Saskia Schüler

Atelierstipendium Rotterdam 2007 / 2008

Wenn ich an Holland/Rotterdam denke, die Autofahrt dorthin, das flache Land, die Weiden mit den vielen kleinen Ponys, die Bewässerungskanäle, die Gewächshäuser, das Grün. Die Ankunft in der Aelbrechtskolk, diese idyllische alte Straße, die Gracht und die Boote, mit Blumentöpfen dekoriert, heimelig, weiter hinten am Ende die alte Mühle, Porzellankatzen hinter Gardinen, der Durchgang in die dahinterliegende Straße urin­stinkend, mit Graffitis besprüht. Dort wird es schnell anders.

Zurück mit Blick zur Wohnung, dieses skurrile Schaufenster vom Brautkleiderladen mit der Katze drin, schlafend, die fast haar­genau so aussieht wie unsere Katze. Die Holztür aufschließen, der schmale, hochwandige Gang, grauer Teppichboden, Fahrräder im Weg, die schmale Treppe steil nach oben. Holzdielenboden, kleiner Flur, ein großes Zimmer und so schöne große Fenster mit Blick auf die Gracht. Auf dem Sofa sitzen und lange schauen, Möwendreck am Fenster und keine „Fensterputzer“ gefunden. Das Schlafzimmer, der besondere Schrank, der Blick auf die Dachterrasse und schräg gegenüber die lange Küche. Fahrrad fahren zum Atelier. Quer durch die Stadt. Vormittags, nicht früh, so um zehn oder elf oder später, alles noch verschlafen, Geschäfte noch geschlossen, vergittert, wenig Verkehr. Duende, ein großer Atelierkomplex, ein großes Atelier, schwer zu füllen, Kassettenrecorder an, Scheuklappen auf, in eigene Muster und Gedanken abtauchen.

Am Meer haben meine Kinder im Sand gespielt, Gänge gebuddelt. Das Foto sieht fast so aus wie das Foto von mir und meinem Bruder in Holland am Meer. Andere Zeit, anderer Ort. Aber der wehende Rock meiner Mutter, ihre Waden, barfuß, rotlackierte Nägel, Sandkörner an den Zehen, eine Drehung, ihr Gesicht und Haare im Wind. Dünenartige Halme wuchsen aus dem Weg, spärlich. Die nahe Parallelstraße zur Aelbrechtskolk, eher rau. Auf dem Spielplatz, meine Kinder im Klettergerüst. Papier und Abfall, manchmal verlassen, aus einem offenen Fenster im Erdgeschoss dringt oft Musik, laut, und laut auch ein Papagei. Groß, grün, behäbige Drehbewegungen und raue lange Krallen, die ich gar nicht sehen konnte. Eine lächelnde Surinamesin. Schöne, fremde Welt.

Leonard Kahlcke

Atelierstipendium Rotterdam 2009 / 2010

Der Hafen, das große Tor zur Welt, ist weit außerhalb der Stadt und nur noch für Güter bestimmt. Sobald man sich am historischen, disneyfizierten Kai der Holland-America-Line befindet, überkommt einen das ungute Gefühl, das genau hier der Bezug zur großen weiten Welt gekappt wurde. Die Hiergebliebenen müssen in der Anonymität der Stadt erleben, dass lokale Probleme nicht in Form von Protest oder Kunst sichtbar werden, sondern diese den direkten Weg in die Institutionalisierung finden. So kann bei bestem Willen keine Dynamik entstehen, welche notwendig ist für jede Stadt, die sich den Künsten gegenüber öffnen will. Das ruhige geregelte Leben in der schönen Wohnung und dem großzügigen Atelier mit Anbindung an die lokale Szene muss fairerweise als sehr angenehm beschrieben werden. Die freundliche Umgebung im Haus der Stichting Duende war viel wert, um einen guten Einblick in die lokalen Geschehnisse zu bekommen.

Ich kann die Überlegungen der Hessischen Kulturstiftung, einen Standortwechsel vorzunehmen, gut nachvollziehen. Eine dynamische Stadt fordert den künstlerischen Geist auf eine positive Weise, Rotterdam kann nicht als dynamisch bezeichnet werden und fordert auf einem anderen Niveau.