© Deutsches Ledermuseum, Foto: M. Url
Abendtasche (Minaudière), KIGU Ltd. London, Großbritannien, 1950er Jahre, Messing, vergoldet, ziseliert, Spiegelglas ©
© Deutsches Ledermuseum, Foto: M. Url
Reisetasche, Bon Voyage, Europa, 2. Hälfte des 19. Jh., Glasperlen- und Gobelinstickerei auf Stramin, Leder, Metall ©
© Deutsches Ledermuseum, Foto: M. Url
Unterarmtasche in Form eines Flugzeuges, Lindbergh, Georg Ruff, Offenbach bzw. Frankfurt am Main, 1928, Kalbsleder, Metall ©



Mitgetragen

Die Tasche – eine bekannte Unbekannte. Zum Eintauchen in deren Kulturgeschichte lohnt ein Blick in das Mittelhochdeutsche Taschenwörterbuch (Matthias Lexer). Unter „tasche“ findet sich die Bedeutung, die man einst in das Wort für das Tragebehältnis hineingelegt und die sich weitergetragen hat: „leib, eingeweide; weibl. schamteile; verächtl. weibsperson“. Nach diesem sprachgeschichtlichen Vorläufer gibt der Bedeutungsinhalt eine suspekte Innenschau wieder. Mit dem Sexus der Frau verbunden – wie übrigens auch das Synonym „sac(k)“ als Schmähwort –, schließt dieses Innenreich moralische Verworfenheit und alle erdenkliche Zügellosigkeit ein. Der „taschenmarkt“, eine Erfindung Martin Luthers, die so viel bedeutet wie „nicht zum Punkt kommen“, ist eine Zuschreibung an das weibliche Geschlecht. In Sack und Tasche zeigte sich eine Bedrohung für Mann und Moral, im Bild einer verschlingenden, allzu autarken Weiblichkeit. Mit evolutionären Folgen: In Merkmalen wie flach, klein, gefälliger als die des Mannes, mit dem Hauch von nichts befüllt, spiegelten die Behältnisse den an soziale Erwartungen und männliches Begehren angepassten Leib wider. Zur Tasche fiel Sigmund Freud nicht von ungefähr die „Leibespforte“, das weibliche Genital, ein als tradiertes Überbleibsel jener alten Wortgleichheit. Das Ding, das einmal gleich geheißen habe wie das Genital, könne im Traum als Symbol für dieses eintreten. Mit Freud: Innen wie außen steht die Tasche als allein auf die weibliche Sexualität anwendbares Symbol für lustvolle oder kompensatorische Handlungen. Das feministische Urteil über das Objekt und dessen Symbolkraft warf die geschlechterpolitische Taschenfrage auf; weibliche Selbstbestimmtheit wurde in dem Maße weiter eingeengt, wie die Silhouette um 1900 schmaler wurde, wodurch für die verborgen unter dem Stoff an der Hüfte getragenen Beuteltaschen als geheimer Ort für Hab und Gut kein Platz mehr war. Wie bereits in der Mode à la grecque um 1800 baumelte in der Verlängerung des Armes das Täschchen oder Säckchen, réticule/Retikül genannt – ein dekoratives Etwas, dem der Spottname ridicule/Ridikül, sprich Lächerlichkeit, anhaftete. Handtaschenpetitesse erzeugte Gegenwind: Die Suffragetten forderten neben dem Wahlrecht in die Kleidung integrierte Taschen, versprach diese Unterbringungsmöglichkeit doch eine Form von Autonomie und Mobilität. Provokant waren übergroße Umhängetaschen. Unter dem Rollen- und Modediktat der Kriegs- und Nachkriegszeit machte das Anhängsel mit Henkel die Frau, wie Simone de Beauvoir es ausdrückte, zum „schleppenden“ Geschlecht. Taschenlos gingen auch die Männer nicht durch die Zeiten. Doch waren ihre jahrhundertelang sichtbar an Gürteln getragenen und sonstigen Taschen mit einem „hegemonialen“ Selbstverständnis ausgestattet, bevor Jacken- und Hosentaschen für den Griff in die Privatsphäre die längste Zeit ihnen vorbehalten waren. Die Tasche als Spiegelaccessoire und sexistisches Klischee der Weiblichkeit ist wie die Vorstellung, ihr Gebrauch und modischer Auftritt stehe im Widerspruch zur Männlichkeit, heute ein alter Schuh. Die Tasche erfüllt nicht mehr nur Frauenträume, Herr Freud, und die Schlepping Bag dekoriert auch den Mann, Madame de Beauvoir! Das Accessoire ist weniger denn je ein Zeichen von Geschlecht.

Ein themenreicher „Taschenmarkt“ von kulturgeschichtlicher Tiefe, ethnologischer Breite sowie globaler Fülle öffnet im Herbst im Deutschen Ledermuseum. In einer umfassenden Schau wird nicht nur die Entwicklung der Handtasche vom ältesten Nutzobjekt zum Luxusartikel nachgezeichnet, sondern auch mit jenem Vorurteil aufgeräumt, dass es sich bei Taschen um rein weibliche Modeaccessoires handelt. Das Spektrum der ausgestellten Stücke reicht vom altägyptischen Lederbeutel über mittelalterliche Gürtel- und frühe Reise­taschen bis hin zum recycelbaren Plastikshopper und internationalen Taschenadel. Das Publikum sollte wissen: Die Moralkeule „volle Tasche von zweifelhaftem Ruf“ bleibt im Sack – „What’s in your bag?“ wird gefragt.

  • immer dabei: DIE TASCHE
  • Deutsches Ledermuseum
  • 12. Oktober 2024 – 10. August 2025
  • Frankfurter Straße 86, Offenbach am Main
  • Telefon +49 69 829798-0
  • ledermuseum.de