Museum für Sepulkralkultur Kassel, LAMENTO – Trauer und Tränen: I’m too sad to tell you., 1970 – 71, © Bas Jan Ader, The Estate of Bas Jan Ader, Mary Sue Ader Andersen, 2019, The Artist Rights Society (ARS), New York. All rights reserved
I’m too sad to tell you., 1970 – 71 ©



ohne worte

„I’m too sad to tell you.“ notiert der Künstler Bas Jan Ader Anfang der 1970er Jahre auf einer Postkarte, die das tränenüberströmte Gesicht des Künstlers zeigt. Die gleichnamige Videoarbeit, aus der das Bild stammt, ist in der Ausstellung LAMENTO – Trauer und Tränen im Museum für Sepulkralkultur zu sehen. Sprache versagt, die Hand – als Repräsentantin des geschriebenen Wortes – verbirgt mit einer universalen Trauergeste das Gesicht Aders und überführt die Ausdruckskraft der Schrift gestisch in den Tränenfluss. Der Unsagbarkeitstopos, die Unfähigkeit sich im Angesicht tiefempfundenen Gefühls sprachlich zu vermitteln, befeuert die Dynamik im Wechselspiel von Sprache und Tränen.

Die Kulturgeschichte der Träne wurde im Zuge eines emotional turn aufgearbeitet. Als einzige „nobilitierte Körperflüssigkeit“, schreibt die Kulturwissenschaftlerin Sigrid Weigel in ihrer Grammatologie der Bilder, „gewinnen Tränen im Gesicht des Menschen Zeichencharakter“. Die Träne verweist auf die innere Bewegtheit des Weinenden, auf tief empfundene Leidenschaften und beansprucht eine zunächst unhinterfragte Aufrichtigkeit des Gefühls. Sie appelliert an unser Mitleid und berührt damit eine zentrale Kategorie unseres Menschseins.

Ihren vielfältigen kulturellen Ausdruck findet die Träne in delikaten Andachtsbildern als Zeichen der Teilnahme am Leiden Christi, als Distinktionsmerkmal gesellschaftlicher Konventionen und Geschlechterrollen, als literarische Signatur der Empfindsamkeit oder als zeichenhaftes Symbol der Menschlichkeit in Science-Fiction-Filmen. In der Medizingeschichte gab der Tränenfluss Anlass zu Spekulationen über den Zusammenhang von Leib und Seele.

Schließlich ist die Träne auch Repräsentantin, Katalysator oder Heilmittel für Trauer. In diesem Kontext widmet das Museum der Trauerarbeit und dem tränenreichen Anteil daran eine Ausstellung. Zwischen kulturhistorischen Zeugnissen, Traditionen und älteren Darstellungen verhandelt die Ausstellung anhand ausgesuchter zeitgenössischer Kunstwerke den Zeichencharakter der Träne im Kontext der Trauer, ihr emphatisches Potenzial, ihre anscheinende oder nur scheinbare Aufrichtigkeit.

  • LAMENTO – Trauer und Tränen
  • 16. November 2019 bis 15. März 2020
  • Museum für Sepulkralkultur
  • Weinbergstraße 25 – 27, 34117 Kassel
  • Telefon +49 561 918930
  • Öffnungszeiten: Di – So 10 – 17 Uhr, Mi 10 – 20 Uhr
  • www.sepulkralmuseum.de