stipendiat
andreas diefenbach
Andreas Diefenbach, 1973 in Wiesbaden geboren, hat an der Frankfurter Städelschule Freie Malerei studiert, war Meisterschüler bei Prof. Michael Krebber. Die Freiheit, Druck- und Maltechniken, Sprache, Kunststile mit gefundenen Bildern, Zitaten und anderen Referenzen zu mixen, nimmt er sich immer noch. In seinen Collagen und Installationen, auch diese nicht festgelegt auf irgendein Format, spielt Diefenbach mit dem tagtäglich Wahrgenommenen auf eine Weise, die dem Betrachter eine ähnliche Sinnenfreude und Beweglichkeit abverlangt. Er kommt von der Musik, war und ist DJ; Ende der 1990er Jahre hat er zum Beispiel in Hamburg den Plattenladen mit Label reis*experiment+hop betrieben und auch den Ausstellungsraum Hinterconti mitgegründet.
ADs künstlerische Arbeiten – das Kürzel hat man doch auch schon irgendwo gesehen – waren international unter anderem in Solo- und Gruppenausstellungen bei der Galerie Christian Nagel in Köln und Berlin vertreten, bei Fiebach / Minninger, Köln (Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich, 2010), bei der New Yorker Tilton Gallery (TurnTurnTurn, 2007) und 2005 bei Rental in Los Angeles.
2012/13 war Andreas Diefenbach im Atelier Paris der Hessischen Kulturstiftung zu Gast. Was dort geschah, lesen und sehen Sie bitte im Folgenden.
hks Herr Diefenbach, bitte lösen Sie, mit besten Grüßen von PIAAC, die folgende Gleichung: U + E = Ü.
diefenbach Im Zentrum meiner Arbeit steht die Malerei, mein Werk ist jedoch multimedial ausgerichtet und beeinflusst von Popkultur, Medienbildern, dem Alltag, Philosophie, Literatur. Malerei verstehe ich als offenes System. In geschlossenen Systemen enden Entwicklungen absolut, sagen Genetiker und Evolutionsforscher. Der Mensch ist jedoch ein offenes kybernetisches System, also eine Art komplexes Regulationssystem ohne Grenzen. Das ist Wissenschaft und nicht Esoterik. Fast alle Systeme in der Natur sind offene, nicht lineare Systeme.
So verstehe ich auch meine polydimensionale Malerei, die nicht nur das Artefakt, sondern auch die Wege dorthin als polydimensional bezeichnet. Alle Teilsysteme sind auf komplexe, nicht-lineare Weise vernetzt und treten in Wechselwirkung miteinander. Dabei trenne ich nicht zwischen U- und E-Kultur, vielmehr lasse ich beide Genres in Resonanz treten, das ergibt eine Art Polyswing … U + E = Ü, aus U und E entsteht Ü.
Das Überraschende, Übersinnliche, Überhebliche, Über, Über, Über, …
hks Gut, soviel zur Theorie. Was bedeutet das für den Alltag, sprich: für Ihre künstlerische Praxis und ganz speziell für Ihre Zeit in Paris – eine Variable, die ich gerne noch dazunehmen möchte?
diefenbach Ganz nach Friedrich Engels: The proof of the pudding is the eating!
Nach Paris wurde ich ja sozusagen von der Hessischen Kulturstiftung hineinbefördert. Beworben hatte ich mich für ein Atelierstipendium in New York. Die Jury war allerdings der Meinung, dass meine Arbeit besser nach Paris passen würde.
Dann also auf das hören, was die höheren Wesen befohlen haben … Da ich mit meiner Frau und unseren beiden Töchtern gemeinsam das Jahr in Paris verbracht habe, war das stiftungseigene Atelier in der Cité International des Arts nicht passend, um zu viert zu wohnen und zu arbeiten, und ich bekam freundlicherweise noch die alte Lithografie-Werkstatt als zusätzlichen Arbeitsraum zur Verfügung gestellt.
Das nahm ich dann zum Anlass, mich mit der Erforschung von verschiedensten Drucktechniken auseinanderzusetzen und dabei eben auch ganz eigene, neue Techniken, wie zum Beispiel Inkjet-Frottagen und Transferdrucke zu entwickeln und diese in meine Malerei zu integrieren. Ein Resonanzraum zwischen Labor und Think Tank.
Dafür war ich in Paris dann tatsächlich am richtigen Ort. Hier konnte ich mein Interesse am Handwerk schulen, die Patina der Stadt bewundern und die Wege meiner Helden, zum Beispiel Francis Picabia, Asger Jorn, Jean Dubuffet, Chaim Soutine etc., verfolgen. Gleich zu Anfang meines Jahres in Paris habe ich den Bildhauer Ernst Stark kennengelernt. Er ist ebenfalls durch ein Stipendium der Hessischen Kulturstiftung, allerdings schon vor sechs Jahren, nach Paris gekommen und dort geblieben. Er hat mir viele wichtige Erfahrungen weitergegeben und wir sind gute Freunde geworden. Auch der Austausch in der Cité International des Arts ist gut und ich hatte viele wichtige Begegnungen dort, die auch jetzt noch bestehen und sich weiterentwickeln.
hks Ihre Collagen, die Sie, auch formal und inklusive der Titel, aus Fetzen / Momenten dessen, was Sie hören, sehen, lesen, komponieren, tragen die Geschwindigkeit der Datenströme der Gegenwart in sich. Man kann dieses Kurzgetaktete sehen. Offene Systeme, wie Sie es erwähnt haben, sind ja subjektiv dennoch nicht grenzenlos. Wie ist das mit dem Ü bei Ihrem Arbeiten, woraus besteht wiederum dieses Moment?
diefenbach ((( Ü ))) ist eine metaphysische Bewimmelung, ein Prozess: Ein Ping Pong aus konzentriertem Spielen und Jenseits-Bohrungen. Friendly takeover, also eine Übernahme. Begriffe werden umgedeutet, geöffnet und erweitert, Bildmotive werden gedehnt, gestreckt und verdreht. Sinn und Unsinn lösen sich auf. Die Dialektik des Dazwischen sozusagen. Ein ganz bestimmter Sound aus Dissonanzen, an dem gefeilt wird. In der Musik steht Dissonanz für eine auflösungsbedürftige Tonkombination. Charles Ives hat sich am Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Befreiung der Töne von den Noten beschäftigt – die Emanzipation der Dissonanz. Auf meine Arbeit übertragen, versuche ich das in meinen Collagen. Diese sind komplexe Geflechte, Cluster aus Bild, Titel und dem Dazwischen. Bei mir ist kein malerischer Stil klar erkennbar. Mein Stil ist ein persönlicher und sprachbetonter, abseits vom Vollkaskosound im Kunstbetrieb. Meinen Sound würde ich als ZEN PUNK bezeichnen. Eine Balance zwischen Aggressivität und Gelassenheit. Aggression als gezieltes Spiel mit der Form auf subtile Art. Konzeptkünstler halten sich mit theoretischen Spielchen die Welt vom Leib. Ich hingegen verstehe mich als Staubsauger, der die Welt aufsaugt und versucht, sie in all ihrer Verquertheit darzustellen. Mir geht es nicht um Lösungen, sondern um das Herausarbeiten von Problemen, an denen sich eine Fülle von Ideen entzünden kann. Reality is just stuff! Bis am Ende dem fertigen Bild etwas Habhaftes innewohnt, das nachhallt und im besten Falle den Betrachter ebenfalls bewimmelt und somit die wahrnehmenden und die erkennenden Synapsen anregt und eine Begegnung mit dem Bild zulässt.
hks Mein Eindruck ist, das Ihre neuen Arbeiten virtuoser und subtiler geworden sind – ein Zugewinn an Ü womöglich? Wenn Sie selbst ein Resümee ziehen sollten über Ihre Stipendiumszeit, wie könnte das ausfallen, vielleicht auch im Hinblick auf zukünftige Projekte?
diefenbach Absolut! Ich habe gelernt, wie wichtig das Aktualisieren des Verhältnisses zur eigenen Produktion ist, da ständig nachzujustieren, damit ich aus einer absoluten Gegenwart heraus arbeiten kann. Für ein ganzes Jahr durfte ich „Hors Service – Out of Service – Außer Betrieb“ sein. Wie ein Busfahrer, der weiter seinen Linienbus fährt, aber dank des Schilds oben am Bus die Stadt ohne Verpflichtung wahrnehmen kann, in seinem eigenen Rhythmus, ohne Fahrplan, ohne vorgegebenes Ziel – ein calling out of context. Dieses Jahr in Paris hat mich reifen lassen, als Künstler, als Mensch, als Vater. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung, dieses Herausgeschleudert werden aus der gewohnten Umlaufbahn und sich auf die Dynamik des freien Flugs einzulassen. Paris hat mich gepackt, beeindruckt und gewandelt. Durch die Weiterentwicklung meiner handwerklichen Fähigkeiten entstehen mir viele neue Möglichkeiten. In Paris habe ich meist im Format 50 × 40 cm gearbeitet. Mittlerweile fühle ich mich sicher im Umgang mit den neuen Techniken und arbeite an Großformaten, die ich im nächsten Jahr bei Jack Tilton in New York zeigen möchte. Dann läuft die Arbeit an einem Katalog und Künstlerbuch, das meine Arbeiten der letzten 15 Jahre zeigt: AD in toto.
Jeden letzten Montag im Monat gibt es wieder meine monatliche Radiosendung zusammen mit Michael Moos, midnight drones auf Radio X. Drei Stunden lang music to paint to. Vieles läuft also weiter wie vor Paris, ich arbeite, koche, mache Musik. Und dennoch hat das Jahr in Paris mich ganz klar verändert und das ist gut so. Unser Kopf ist ja schließlich rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.
Ein Dialog zwischen Karin Görner und Andreas Diefenbach.
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