Arbeitsskizze © Katja Eydel
Katja Eydel: Wäsche 2 ©
Arbeitsskizze © Katja Eydel
Katja Eydel: Wäsche 5 ©
© Katja Eydel
Katja Eydel ©



stipendiatin
katja eydel

Gesellschaftliche Konstruktionen und ihre Wirkungen für die individuelle Lebenspraxis sind wesentliche Blickpunkte für Katja Eydels (*1969) Fotografien und filmische Arbeiten. Die in Berlin und zurzeit im Londoner Stiftungsatelier lebende Künstlerin untersucht in der Art von Feldstudien soziale und institutionelle Konventionen, in der Arbeitswelt, in der Architektur und städtischen Räumen (Assets 1-n, 1998), in politischen Kontexten (Zielscheibenkampagne ’99; Model ve Sembol2006), auch im Sport (Weitspringer, 1993/2000) und der Kleidung (Habitus, 2011). Ihre immer seriell verknüpften Bilder suchen inhaltlich und methodisch Situationen an Übergängen, in der Veränderung und Neuordnung von Menschen und Verhältnissen: So hat Katja Eydel nach den NATO-Bombardierungen in Belgrad fotografiert, im Berlin nach der Wende und auch, mit einem Stipendium der Senatsverwaltung Berlin, eine Untersuchung der republikanischen Türkei und der Geschichte ihrer Staatsgründung seit 1923.

Neben zahlreichen Förderstipendien, internationalen Ausstellungen und Publikationsprojekten hatte die Künstlerin Professuren im Bereich Photo and Media am California Institute of the Arts, Los Angeles, (2007/08) und für Fotografie an der Merz Akademie Stuttgart von 2008 bis 2012 inne. Sie hat ihre Ausbildung an der FH Bielefeld in Visueller Kommunikation, Foto- und Filmdesign absolviert sowie Philosophie, Germanistik und Politikwissenschaft an der Universität zu Köln studiert. 

Ihre jüngste Publikation Schattenfuge, die mehrere ihrer bisherigen Projekte zusammenfasst, wurde vor wenigen Tagen in London präsentiert. Ihre gegenwärtige Arbeitssituation reflektiert Katja Eydel in neuen Bildern und dem folgenden Textbeitrag. 

Ein Jahr ohne konkrete Zielsetzung, im Zeichen des Experiments, des dysfunktionalen sich Gehenlassens und zunächst ungerichteten Recherchierens – nach Jahren des zielgerichteten und ergebnisbewussten Agierens – wurde es nicht umfänglich, aber zu großen Teilen. Zunächst ging es darum, ein Publikationsvorhaben fertigzustellen und mit diesem meine künstlerische Produktion in einen neuen Zusammenhang zu bringen. Diese Publikation entsprang dem Wunsch, eine bestimmte Arbeitspraxis mit Abstand zu reflektieren, den inneren Zusammenhang meiner bisherigen Bildproduktion besser zu verstehen und meine Arbeit mit diesem Werkkanon zu positionieren. Dies auch aus dem Gefühl heraus, dass viele der darin enthaltenen Qualitäten sich mittlerweile verändert haben könnten.

Die meist umfangreichen, analog fotografierten Serien entstanden in der Regel auf Basis intensiver Rechercheabläufe und nutzen stilistisch einen dokumentarischen Duktus. An diesem schätze ich vor allem die Zugänglichkeit und Übertragbarkeit: das scheinbar Objektive einer solchen bildnerischen Vermittlung. Vor allem innerhalb meiner Lehrtätigkeit der letzten Jahre und in der Auseinandersetzung mit einer jüngeren Generation wurde für mich deutlich, wie sehr sich das Verhältnis zu und die Wahrnehmung von bildgebenden Medien verändert hat. Die quasi-psychologische Annahme einer Referenz des fotografisch Abgebildeten auf die Wirklichkeit, mit der ich in meiner Arbeit bewusst und mit fein justierten Verschiebungen umgegangen bin, erscheint als Grundannahme zunehmend fragwürdig.

Diese durch die Arbeit an der Publikation Schattenfuge geführte Reflexion innerhalb eines Atelierstipendiums an den Anfang zu stellen, absorbierte zwar Zeit und Aufmerksamkeit, funktionierte jedoch wie ein Sprungbrett für das Weitere und war damit über sich hinaus produktiv. Die nochmals neu betrachteten Möglichkeiten und Grenzen der weiteren Einsätze von Bildmaterialen und -produktionen haben in eine für mich neue Ateliersituation geführt: eine eher experimentelle und vorläufig ungerichtete Arbeitsweise.

Inhaltlich gibt es nach wie vor eine klare Stringenz, die mit dem Interesse am Gemeinschaftlichen und den Formen des Zusammenlebens zu tun hat. Als jemand, der vor allem visuell denkt und erfährt, hat sich dieses Interesse primär an der Lesbarkeit ästhetischer Oberflächen entlang orientiert: das Verstehen der Formen, die sich auf Basis von Vorstellungen und Ideen realisieren und auf diese Weise wirkmächtige Lebensverhältnisse herstellen, somit sichtbar und reflektierbar werden. Mich interessieren die Zusammenhänge von Ideen und Formen, Ästhetik und Wollen, wobei es latent immer auch um die Frage der Alternativen geht: Wie könnte es sein, wenn es anders wäre?

Auch aus diesem Grundinteresse heraus habe ich mich in der Vergangenheit viel in Projektzusammenhängen bewegt, die eher an einer kollektiven, entgrenzenden Praxis interessiert waren und sich dabei vor allem bemühten, auf Räume Einfluss zu nehmen beziehungsweise diese erst zu kreieren. Dem lag das Verständnis zu Grunde, dass Räume sozial produktive Instanzen sind.

Meine fotografische Arbeit bildete eine Art persönliches Analyse- bzw. Evaluationsinstrument. Es ging darum, sich nicht auf bestimmte oftmals auch eigendynamisch entwickelte gemeinsame Vorstellungswelten zu beschränken und aus diesen heraus zu agieren. Es schien mir wichtig, sich die Kontexte und konkreten Bedingungen anzusehen, auf die sich viele der Reflexionen und Forderungen bezogen, in denen jene, über deren Verhältnisse man gesellschaftlich und kritisch nachdenkt und spricht, leben. Dies wiederum mittels eines subjektiven und voreingenommenen Blicks – der ohnehin nicht abstrahierbar ist.

Innerhalb eines Forschungsprojektes zu religiösen Gemeinschaften in urbanen Kontexten (The Urban Cultures of Global Prayers), nutzte ich für die Arbeit Habitus gefundenes Material – verschiedenen Versandplattformen kirchlicher Kleidung entnommen – womit sich die Frage der gegebenen und zu untersuchenden Repräsentationen auf die Bildebene erweiterte. Die Repräsentation von Welt, die ich bisher selbst in die Logik des Bildraumes überführt habe, erweiterte sich um den Radius und die Analyse der Repräsentation von vorhandenen Bildern als Teil der Welt.

Diese Analyse setze ich fort, arbeite erneut mit Fundbildern, an denen mich der Subtext der Inszenierungen, der Posen, Gesten und Bildaufbauten interessiert. Dabei geht es nun deutlicher um die Präsentation der Kleidung, weniger um die Kleidungsstücke selbst, die in der Arbeit Habitus als symbolische Objekte innerhalb eines christlich religiösen Regelwerks wichtiger waren.

Bei der hier abgebildeten Arbeitsskizze Wäsche geht es stärker um Nebensächlichkeiten in den Abbildungen, die etwas über die Fiktionen in den Inszenierungen sagen und Rückschlüsse auf den Wertekanon zulassen, der in der Pragmatik der Veröffentlichungslogik nicht reflektiert zu werden scheint. Es ist eher das Unbewusste in den Darstellungen, worin sich wiederum Vorstellungen und Umgangsformen, Begehren und Rollenstrukturen offenbaren. Gegenwärtig geht es also weniger darum, diese Aspekte aus den Abläufen heraus zu analysieren und in fotografischen Bildern einzufangen, sondern die Bildgebung des vorhandenen Materials sprechen zu lassen. Der gesetzte Fokus, die Konzentration auf Details und Ausschnitte erscheint überaus produktiv.

Auch in den gegenwärtigen Arbeiten geht es letztlich um Fragen der Identitätsbildung. Die unterschwellige Konstruktion von Existenzen durch ihre Darstellungen in verschiedenen Kontexten und die Wirkmächtigkeit dessen für die Einzelnen. Hier in London interessieren mich außerdem Prinzipien der Disziplin und der Klassengrenzen, die sich immer noch deutlich durch die repräsentativen Systeme des Landes ziehen. Ein weiteres Projekt, an dem ich arbeite, sind bildnerische Darstellungen institutioneller VertreterInnen innerhalb des Kunstsystems, die vielleicht mit dem Wechsel des Informationsflusses in digitale Formate zu tun haben. Hier interessiert mich, die aktuellen Verhältnisse von Produktion im Kunstbereich zu untersuchen und ähnlich wie bei Habitus die Funktion der Stellvertreterschaften. Personen aus Institutionen werden zunehmend in einem für mich überraschenden Bilderkanon abgebildet, während man in den 90er Jahren die Frage der Autorschaft in der Kunst eher als problematisch wahrgenommen hat. Gerade ein Feld, das sich gegenüber bildnerischen Darstellungen als sensibel ausweist, reproduziert auf der Ebene der Repräsentation immanente Botschaften, die in starkem Kontrast zu den eigenen Ansprüchen zu stehen scheinen.

Raum und Zeit dieses Stipendiums haben mir vor allem die Wahrnehmung von Details ermöglicht und meinen Blick zu verfeinern: den Luxus, aus dem Trott der großen Zusammenhänge auszuscheren und durch die Beschäftigung mit kleineren Einheiten Justierungen zu erzielen, die in den sonstigen Alltagsbedingungen kaum Platz finden.