Installationsansicht © Phillip Zach
Phillip Zach: Shade Shifters, 2015 ©
Installationsansicht © Phillip Zach
 Phillip Zach: SEEING RED, Ljubljana Biennale 2015 ©
© Philipp Zach
Phillip Zach: Aksaray, Zentralanatolien ©
© Phillip Zach
Phillip Zach: Fahne auf Halbmast am Taximsquare nach Grubenunglück in Soma ©



stipendiatin
phillip zach

Phillip Zach (*1984 in Cottbus) hat zuerst an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg studiert und 2012 sein Kunststudium an der Frankfurter Städelschule als Meisterschüler bei Willem de Rooij abgeschlossen. Seine Arbeit umfasst Installationen, Objekte und Textarbeiten. Diese beziehen sich oft auf die menschliche Wahrnehmung, auf künstlerisches Arbeiten oder das Verhältnis von Soft- und Hardware, beispielsweise die Interaktion zwischen Körpern, Technologien und Sprache. 

Der zurzeit in Zürich lebende Künstler war nach Nina Tobien der zweite Gast im neu eingerichteten Istanbuler Atelier der Hessischen Kulturstiftung. Neben einigen Projekten vor Ort, wie dem Moving Museum oder einer Ausstellung bei Peles Empire, entstanden auch international Ausstellungen, unter anderem bei der Galerie Freedman Fitzpatrick in Los Angeles, bei Koppe Astner in Glasgow, der Kunsthalle Fribourg, bei DREI in Köln und Casey Kaplan, New York sowie der 31. Ljubljana Biennale. Über die intensive Zeit in Istanbul hat Phillip Zach mit Karin Görner im Interview gesprochen, wir stellen Ihnen im Folgenden ihre Mail-Korrespondenz vor.

Auch das kommende Jahr verspricht für den Künstler arbeitsreich zu werden; in Vorbereitung sind Einzelpräsentationen bei Laurel Doody, Los Angeles, im Februar 2016, bei Frieze New York im Mai und bei Freedman Fitzpatrick in Los Angeles im September. Dazu kommt eine Gruppenausstellungen im Dortmunder Kunstverein. Aktuell ist Phillip Zach in Drawn by its own memory vertreten, die Ausstellung läuft noch bis zum 17. Januar 2016 in der Laura Bartlett Gallery London.

hks Herr Zach, Sie haben ab Mai 2014 ein Jahr, das ja ein sehr produktives geworden ist, im Atelier Istanbul der Hessischen Kulturstiftung gearbeitet. Was waren Ihre Beweggründe für die Bewerbung um diesen Standort?

zach Ich war sehr überrascht, als ich erfuhr, dass die Hessische Kulturstiftung ein Stipendium in Istanbul eröffnet, da dies im Gegensatz zu den anderen Stipendienstandorten New York, London oder Paris nicht gerade als etabliertes Zentrum zeitgenössischer Kunst bekannt ist. Allerdings schien sich in den letzten Jahren vor allem durch die Istanbul Biennale, den ökonomischen Boom sowie die neu entstandenen Galerien und Institutionen eine Art Aufbruchsstimmung einzustellen. Dies wurde bekräftigt durch einen Medien-Hype, der Istanbul als „das neue Zentrum“ zwischen Asien und Europa bezeichnete. Mich stimmen solch verheißungsvolle Vorhersagen jedoch meist skeptisch, da klar war, unter welch repressivem Regime die Wirtschaft dort ihre Erfolge verbuchte. Als jedoch die Gezi-Proteste einsetzten, war klar, dass in der Türkei wirklich entscheidende Veränderungen in Gang gesetzt worden waren. Dies war eine Zeit, in der Istanbul sehr viel Energie in alle Richtungen ausströmte, und ich hatte große Lust und Enthusiasmus, eine Zeit an diesem Ort des Umbruchs zu arbeiten.

hks Wie haben Sie die politische Situation dann während Ihres Aufenthaltes wahrgenommen, und gibt es dazu auch Bezüge in Ihrer Arbeit?

zach Als ich Anfang Mai 2014 in Istanbul ankam, war nach der ersten Protestwelle zwischen Taxim-Platz und Gezi-Park bereits ein Jahr ins Land gezogen, und noch immer fanden wöchentlich Proteste in Istanbul, Ankara und an anderen Orten der Türkei statt. Trotzdem hatte sich in der Zwischenzeit eine allgemeine Ernüchterung eingestellt, da sich ungeachtet zunehmender innenpolitischer Destabilisierungen keine tatsächlichen politischen Veränderungen einzustellen schienen. Das Gegenteil war der Fall, Erdoğan demonstrierte seine paranoide Machtbesessenheit immer wieder aufs Neue. Mit Maschinenpistolen ausgestattete Polizeikräfte waren allgegenwärtig und mit Tränengas wurde selbst bei kleinen, friedlichen Demonstrationen nicht gespart. Die Tränengaswolken wurden zum Teil mit dem Wind in andere Stadtteile getragen, sodass selbst an den Demonstrationen unbeteiligte Bürger von dem Giftgas getroffen wurden. Ich selbst saß einmal in einem Auto, welches durch eine Tränengaswolke fuhr, fernab der tatsächlichen Demonstration, was für mich mit einem Krankenhausbesuch endete. Die Anliegen der Demonstrationen setzten sich zu einem Komplex unterschiedlich gelagerter Frustrationen gegenüber der regierenden AKP zusammen: darunter Korruptionsvorwürfe, die stark eingeschränkte Pressefreiheit sowie die Kurdenfrage.

Im Verlauf des Jahres wurden auch der Umgang mit dem Grubenunglück von Soma, bei dem über 300 Bergarbeiter ums Leben kamen, sowie Erdoğans Präsidentschaftskandidatur Teil der Protestanliegen. Neben geschätzten 8000 Verletzten wurden Medienberichten zufolge 11 Menschen während der Proteste getötet. Beinahe täglich wurden Menschen, die sich in Sozialen Medien regierungsfeindlich äußerten, festgenommen, darunter ein 16-jähriger Schüler, der 14 Monate in Haft ging, weil er Erdoğan als Diktator bezeichnet hatte. Diese Fakten stehen im großen Kontrast zum täglichen Leben in Istanbul, denn trotz dieser bürgerkriegsartigen Zustände hatte sich aufgrund der Alltäglichkeit der Proteste eine Normalität eingestellt und fast jeder ging „am Tag danach“ wieder seinem Alltag nach. Es war eine sehr spannende Zeit und was ich vor allem erleuchtend fand, war auch die Diskrepanz zu beobachten, die ich immer wieder feststellte, wenn ich die Ereignisse in der Türkei mit den Darstellungen in den deutschen Medien verglich, welche die Ereignisse oft verdreht darstellten oder altes Bildmaterial verwendeten, das Proteste in ganz anderen Stadtteilen zeigte.

Was meine eigene Arbeit angeht, hatte ich jedoch noch nie einen Interesse daran, mich an tagespolitischen Themen abzuarbeiten. Zum Einen waren all die Veränderungen, die in der Türkei stattfanden, noch in vollem Gange, es kann also keiner von sich behaupten, überhaupt zu verstehen, was dort genau vor sich ging. Zum Anderen hat mich interessiert, die Prozesse vor Ort unter einem allgemeineren Vorzeichen zu betrachten, da solche Aufstände gegen repressive Regime auch immer schon an anderen Orten stattgefunden haben und stattfinden. Ein Teil der Korruptionsvorwürfe betraf auch den sogenannten Bauboom, im Zuge dessen ganze Stadtteile abgerissen und deren Bewohner enteignet wurden. Seit 2010 wurden in Istanbul mehr als 30 Wolkenkratzer erbaut und weitere 17 sind in Arbeit. Bis 2018 soll Istanbul den größten Flughafen der Welt eröffnen. Für viele dieser Bauvorhaben wurde arabisches Geld akquiriert und oft handelt es sich um künstlich erschaffene Investitionsblasen. Unter anderem gibt es ganze Villenviertel, die hastig aufgebaut und über Nacht wieder eingerissen werden – so kann man schnell viel Geld verschwinden lassen. In ähnlicher Manier wurden viele Shopping- Malls aufgebaut. Diese stehen im Gegensatz zur türkischen Bazarkultur, und oft bleiben sie ganze Tage menschenleer. Ich habe diese Malls als Monumente des Widerspruchs zwischen dem neoliberal-repressiven Regime und den kulturellen Traditionen der Türkei gesehen. In einer Arbeit, die in Istanbul entstanden ist, ist die Frage miteingeflossen, wie die Architektur solcher Malls ein Idealbild ihrer Konsumenten entwirft.

hks Liminal Dilution, die Arbeit, die Sie zusammen mit Emanuel Rossetti bei The Moving Museum Istanbul gezeigt haben und auch Hands on mit Peles Empire im Vorfeld beschäftigen sich mit den Veränderungsprozessen im Istanbuler Stadtraum und deren psychosozialen Wirkungen. Worum geht es Ihnen bei diesen Installationen?

zach Wie ich bereits angedeutet habe, ging es mir bei diesen Arbeiten nie um Istanbul an sich, sondern es lieferte vielmehr einen Ausgangspunkt für viel globalere Beobachtungen. Liminal Dilutionkönnte man als eine Art Clusterfuck bezeichnen, welcher sich im minus neunten Stockwerk eines neu gebauten, unterirdischen Parkhauses abspielte. Die gesamte Ebene war von einem Set improvisierter skulpturaler und architektonischer Elemente versetzt, die sich in diesem „junkspace“ zu unterschiedlichen Belagerungszonen zusammensetzten. Eine mit einem Bild eines Tiefseefisches versehene Holzkiste, Air-Conditioner und Fahrstühle sowie Transportboxen und mit Städtenamen bedruckte Inseln aus Messe-Teppichstücken (Athens, Amsterdam, Ankara, Brussels oder Paris), transparente, mit Hitze verbogene Raumteiler, Take-away-Boxen oder gespannte Seile und gebogene Aluminiumschienen bildeten eine mobile, instabile, flexible und diffuse Architektur, in der dann zum Beispiel ein Heim-Chemielabor aufgebaut war oder selbstgebastelte elektrische Kreisläufe installiert waren, an denen Dioden blinkten, nicht unähnlich dem Blinken des Tiefseefisches, wenn er seiner unwissenden Beute einen Wurm vortäuscht.

hks Ich würde gerne zum Schluss noch kurz auf darauf folgende Arbeiten zu sprechen kommen, eine Serie von wellenförmigen Objekten wie Supple Expansions (2014, bei Freedman Fitzpatrick, L.A.) oder 2015 Clouds in the Cave (Kunsthalle Freiburg), SEEING RED (31. Ljubljana Biennale) und auch Shade Shifters bei Koppe Astner in Glasgow, die mich weiterdenken lassen auf der Ebene menschlicher Wahrnehmung, in der Art mentaler Funktionsmodelle, die variabel auf Raum, auf Material reagieren…

zach Die genannten Ausstellungen sind alle nach Liminal Dilution entstanden. In der Zeit, in der Supple Expansions entstanden ist, habe ich viel über organische Architektur und Design und damit verbundene alternative Lebensentwürfe nachgedacht, die ja vor allem in Kalifornien, dem Ort, an dem diese Arbeit entstanden ist, zuhause sind. Die Arbeit war eine Art Spielplatz aus wellenförmigen Möbeln, von denen einige sehr bequem waren, andere völlig unbequem, je nach Wellenlänge und Ausschlag, und mich hat daran interessiert, wie unterschiedlich das individuelle Empfinden innerhalb dieser abgesteckten Landschaft reagiert. Die Möbel waren neben anderen Farbstoffen mit dem psychedelischen Molekül DMT eingefärbt, welches mit seiner spezifischen molekularen Struktur das Gehirn in andere Welten befördert. Mich hat die Dialektik dieser Plastizität interessiert: Wir können Materie und Umwelt verformen, aber sie formt uns ebenso. Die Arbeit SEEING RED erinnert an Interfaces, die man zum Beispiel aus Videoschnitt- oder Musikprogrammen kennt. Es gibt Wellen auf unterschiedlichen Timelines mit unterschiedlichen Intensitäten und Wiederholungen. Ich habe versucht nachzuempfinden, wie wir durch digitale Welten navigieren, deren scheinbare Flexibilität am Ende auf binären Codes basiert, die außer Ja und Nein keine Zwischenstufen kennen, und welche Position im Gegenzug dazu die analoge, plastische Welt findet, in der es ja in den seltensten Fällen so eine Klarheit gibt. Aber nicht zuletzt ging es auch nochmal um Farbe und folgendes Problem: Zunächst einmal treffen ja nur unterschiedliche Wellenlängen auf unsere Netzhaut, erst im Gehirn wird daraus das Gefühl von Farbe entwickelt. Wie und warum aber zieht das Gehirn die Grenze zwischen unterschiedlichen Farben, und wo kippt, abhängig von der Wellenlänge, dann Rot in Gelb oder Violett. Der Stier im Stierkampf, auf den die Bezeichnung „Rot sehen“ zurückgeht, sieht, wie Hunde und Katzen, eben auch kein Rot. Laut einer Theorie sollen erst Primaten die Fähigkeit entwickelt haben, Rot zu sehen, um reife Früchte im grünen Wald vom Rest zu unterscheiden, aber das ist eben nur eine, wenn auch recht unterhaltsame, Theorie.