Daniel Kerber
Geboren 1970
travel scholarship der Hessischen Kulturstiftung 2001/2002:
Japan, USA
Urbane Situationen, Infrastrukturen, mentale Landschaften, skulpturale Konstruktionen: Zur künstlerischen Erforschung dieser Begriffe reisten Alexa Kreißl und Daniel Kerber nach Tokyo und in das kalifornische Silicon Valley, den größten städtischen Ballungsraum der Welt und das Zentrum der Informationstechnologie. Diese Superlative der Komplexität durchquerten sie zu Fuß, besuchten Forschungsinstitute, Wissenschaftler und Künstler. Die dort in Skizzen und Filmsequenzen festgehaltenen Entdeckungen führt das Künstlerpaar in Objekten und Rauminstallationen weiter.
Interview mit Alexa Kreißl und Daniel Kerber
Das Gespräch mit Alexa Kreißl und Daniel Kerber führte die Kunstwissenschaftlerin
Dr. Sonja Müller.
Seit Beginn seiner künstlerischen Laufbahn lebt und arbeitet das Künstlerpaar Alexa Kreissl und Daniel Kerber zusammen. Mit ihren auf den ersten Blick provisorisch zusammengezimmert wirkenden Installationen aus Holz, Kunststoff oder anderen Materialien testen sie die Grenzen des Raumvolumens aus und thematisieren energetisch aufgeladene Situationen mit Titeln wie Einschlagoder Explosion. In umfangreichen Recherchen, die ihren Skulpturen voraus gehen, beschäftigen sie sich sowohl mit von Menschen geschaffenen Spontanarchitekturen als auch mit Deformationen von Stadt oder Landschaft nach Naturkatastrophen. Von der Hessischen Kulturstiftung erhielten sie ein Reisestipendium für einen mehrmonatigen Aufenthalt in Tokio und Silikon Valley.
Müller: Interessiert euch an den „unvorhersehbaren skulpturalen Ereignissen“, wie ihr sie nennt, in erster Linie der ästhetische, formale Aspekt, oder ist es mehr die Frage nach dem Warum und Wodurch die Deformation entstanden ist?
Kerber: Es geht genau um diese beiden Pole. Die Deformation ist für uns ein starker ästhetischer Mehrwert. Aber der primäre Auslöser war die Frage, was mit einer Form passiert, wenn sie ihre Funktion verliert.
Kreißl: Welche neue Wege entstehen da? Kann man auf einer Brücke, die eingestürzt ist, noch gehen, oder kann diese nicht auch ein Zugang zu einem Swimmingpool werden?! Wir versuchen erst mal zu schauen ohne zu werten. Aber diese Situationen oder Bilder haben wir aus einem ganz bestimmten Grund angefangen zu beobachten. Von Beginn an waren wir sehr an Materialrecherchen interessiert, immer wieder haben wir versucht, Materialkompositionen selbst nachzuvollziehen, und beobachtet, wo das Limit ist, wie lange die Konstruktion hält. Häufig führte das zu Unfällen. Irgendwann sind wir an den Punkt gelangt, an dem wir uns gefragt haben, ob nun der Unfall als Manko unserer Arbeit zu sehen oder genauer zu beobachten sei. Wann bricht eine Konstruktion zusammen, und ist die Form nachher nicht vielleicht spannender als das Modell, das wir vorher so scheinbar stabil gebaut haben? Das führte zu unserem Interesse für Erdbebengebiete, und zu der Frage nach dem Leben mit einem Boden unter den Füssen, der gar nicht so stabil ist, wie er scheint.
Müller: Ihr beobachtet, wie die Leute mit der Instabilität umgehen, und welche Formen der Improvisation diese nach sich zieht?
Kreißl: Ja. Aus Japan haben wir eine Sammlung von Fotos von Obdachlosenhütten mitgebracht. Das sind die Opfer der Gesellschaft. Menschen, die durch das System fallen. Sie bauen sich ihre Hütten und haben als Basis immer eine blaue Plane, die dann ganz unterschiedlich eingesetzt wird. Einmal als Zeltform, dann geschachtelt. Wir betrachten das als ein Umnutzen des vorhandenen Potenzials. Wir haben in unseren Projekten immer versucht, uns selbst zu überlisten, und der Unfall war das Überlisten der Planung. Diese Situation findet sich auch in Großstädten wieder. Es ist ein Bebauungsplan da, aber das Interessante ist das, was trotzdem passiert, das Unvorhersehbare. Und wir versuchen dafür sensibel zu sein.
Müller: Welche Rolle spielt das Material in euren Arbeiten?
Kreißl: Die Eigenschaften des Materials sind uns sehr wichtig.
Kerber: Wir haben zum Beispiel einen Tunnel gebaut, über zwei Galerieräumen. Eine Spirale wurde beplankt mit Milchtütenkarton, der Kern bestand aus Styropor, ganz dünnem Pappelsperrholz und glasfaserverstärktem Klebeband. An sich ist jedes einzelne Teil für sich sehr schwach und instabil, aber die Kombination dieser drei Elemente hat es erlaubt, eine gewisse Stabilität der Spirale zu erreichen. Das ist für nicht geschulte Betrachter überhaupt nicht sichtbar, aber für uns eminent wichtig.
Kreißl: Unser Bild war das von einer riesengroßen Schraube, die sich durch die Galeriewand bohrt. Die Spirale musste beweglich sein und trotzdem Stabilität haben. Und am Ende wieder in Einzelteile zerlegbar sein.
Müller: Die Konstruktionen sind also temporäre Installationen, raumbezogene Arbeiten?
Kreißl: Ja, sie werden recycled oder vernichtet.
Müller: Das Temporäre liegt ja auch im Thema begründet, in den improvisierten Situationen, für die ihr euch interessiert.
Kerber: Sollten wir Dinge in der Zeit und im Raum festschreiben wollen, könnten wir das natürlich machen. Aber irgendwie ist immer etwas in uns, dass uns dazu treibt, ans Limit zu gehen und es sogar zu überschreiten. Ich weiß auch nicht, warum wir dieses Temporäre so lieben…
Kreißl: Das Momentmonument. Es geht um diesen fragilen Moment.Vielleicht ist es die Vergänglichkeit, die uns so fasziniert.
Kerber: Zum Beispiel in Tokio, dort kriegt man vor Augen geführt, dass diese Stadt maximal 20, 30 Jahre alt ist und sich ständig erneuert. Ständig wird irgendetwas abgerissen und neugebaut und überlappt.
Kreißl: Auch die Tempel werden immer wieder neu aufgebaut, Stock für Stock ersetzt. In unserer Arbeit machen wir das intuitiv. Es gibt wahnsinnig viele verschiedene Möglichkeiten, wie eine Form entsteht, wie der Winkel ausgerichtet ist, und jedes mal verändert sich wieder alles. Für eine Arbeit diente uns ein Erdbebenbild aus der Türkei als Vorlage, wir hatten ein kleines Modell gebaut. Dann haben wir dreihundert Styroporplatten bestellt und das Ganze in groß gebaut. Letztendlich ist alles mit Silikon und Schaschlikspießen zusammengebaut. Am Ende musste es vernichtet werden, es war klar, dass es nicht bestehen bleiben kann. Es war das erste Mal, dass wir uns selbst dem Unfall gestellt haben. Mit japanischen Sagen bewaffnet, die ja wiederum als zerstörerisches Elemente ganz elegant sind, haben wir angefangen das Objekt zu zersägen.
Müller: Das heißt, ihr habt den Unfall selbst inszeniert?
Kreißl: Genau.
Müller: Ihr habt in eurem Antrag für das Reisestipendium geschrieben, ihr hättet eine Methode entwickelt für Großstadtdurchquerungen und dafür, eure Eindrücke in Skizzen, Filmen usw. einzufangen. Wie muss man sich das vorstellen? Wie sammelt ihr, und wie verläuft der Prozess der Auswertung und der Umsetzung?
Kerber: Das sind natürlich unglaublich lange Prozesse. Das Sammeln ist einfach. In Tokio zum Beispiel sind wir einfach losgelaufen. Einen Tag nach Norden, dann nach Süden, in alle Himmelsrichtungen. Was toll ist, weil einen keiner stört. Man ist sozusagen unsichtbar, weil man nicht dazugehört. Wir waren wie Wanderer, die keiner beachtet, und haben uns treiben lassen. Dabei hatten wir verschiedene technische Hilfsmittel, Fotoapparat und Videokamera. So entstehen Sammlungen.
Müller: Wie lange wart ihr unterwegs in Tokio?
Kerber: In Tokio waren wir zwei Monate. Und im Anschluss einen Monat im Land unterwegs.
Kreißl: Von dort aus sind wir weiter gereist nach Kalifornien und in die Wüste.
Müller: Silicon Valley? Was hat euch an diesem Ort angezogen?
Kerber: Ich muss sagen, es war in anderer Weise inspirierend als erwartet. Wir haben mehr die Wüste für uns entdeckt und weniger Silicon Valley an sich. Wir haben entdeckt, dass in der Wüstenregion in Kalifornien Aussteiger leben, die sich aus allem möglichen Schrott ihre Hütten bauen. Eigentlich keine Hütten – weil sie so wahnsinnig viel Platz haben, sind das Paläste. Riesengroße Gebilde…
Kreißl: Wüstenschlösser. Wir haben die Wüste als real existierenden virtuellen Raum erlebt. Ein große plane Fläche.
Kerber: Es regnet ja auch nie. Also braucht man kein richtiges Dach.
Kreißl: Es gibt keine Bauvorschriften. Man fängt einfach an zu bauen. Da ist neben dem Verdichteten und Verknoteten, das wir in Japan beobachtet haben, auf einmal soviel Freiraum.
Kerber: In der Wüste gibt es keine Vorbilder, die Form kommt allein aus dem Erbauer heraus.
Müller: Ihr sammelt immer weiter, ihr habt einen riesengroßes Archiv, einen Materialfundus, an dem ihr dann kontinuierlich arbeitet?
Kreißl: Ja. Wir haben auch eine riesengroße Sammlung an Erdbebenbildern, die wir immer wieder angucken, und dennoch bleiben sie für uns faszinierend und spannend.
Kerber: Ja. Das ist wie der berühmte Eisberg. Die Arbeit, die letztendlich entsteht, ist die Spitze und darunter liegt ein Riesenberg an Vorarbeit.
Kreißl: Wir haben uns schon häufig die Frage gestellt, ob wir diese Quellen offen legen sollen. Es gibt viele Bücher mit Sammlungen, die wir nie publiziert haben. Zum Beispiel das der Obdachlosenhütten in Tokio oder die Sammlung von Wüstengebilden.
Müller: Es gibt die Sammlungen, die Papiermodelle, aber die großen Holzkonstruktionen sind eigentlich auch nur Modelle, ist der Endzustand etwas Fiktives? Wo man nie ankommt, und vielleicht auch nie ankommen muss?
Kreißl: Ja, aber der Betrachter fordert es. Wir haben eine Vorstellung von einem idealen Betrachter, jemand, der sich unsere Arbeit anguckt, beobachtet und von dort aus selbst losläuft…
Müller: Und welche Rolle spielt der Raum?
Kerber: Es gibt ein paar Traumprojekte, die wir noch nie realisiert haben, weil es bisher nicht den Raum dafür gab. Gleichzeitig geschieht immer wieder Unvorhersehbares. Ich glaube, der Raum ist eminent wichtig für das, was passieren wird.
Müller: Und die Zeichnungen? Es sind Computerzeichnungen, die wirken wie Collagen aus Gebäudefragmenten; sie bekommen fast etwas Architektonisch-Ornamentales.
Kreißl: Die Zeichnungen entstehen aus unseren Sammlungen heraus, viele Einzelbilder, skulpturale Momente werden nebeneinander gestellt. Wir arbeiten mit vektorbasierten Programmen. Vektoren kann man ohne Qualitätsverlust so groß und klein skalieren wie man möchte. Das fertige Maß ist nicht bestimmt.
Müller: Sind es Skizzen? Oder eigene Serien? Eigenständige Arbeiten?
Kerber: Es werden gerade Skizzen. Wir sind gerade dabei, Teile aus den Zeichnungen umzusetzen in Modelle. Aber es ist relativ neu, dass wir die Zeichnungen als Skizzen entdeckt haben. Es gibt beides. Es gibt auch Serien, die als Zeichnungen gedacht waren, und eine gewisse Finalität haben. Aber wir merken, dass in den Zeichnungen ein wahnsinniges Potenzial steckt, das es gilt, wieder in den Raum zurückzuholen. Vielleicht könnte das eine Art Filmset werden oder ein Bühnenbild. Wir haben noch nie architektonische Elemente in den Raum gesetzt, so dass sie erkennbar waren. Wir haben immer soweit abstrahiert, dass eine eigene Form entstanden ist. Jetzt könnte ich mir vorstellen, dass auf einmal auch eine umgestürzte Autobahn im Raum mit vorhanden ist.
Müller: Heißt das, dass eure Arbeit figürlicher werden kann?
Kerber: Im weitesten Sinne könnte ich mir das vorstellen, ja.
Müller: Eure Biografie beginnt mit der Zusammenarbeit. Ihr lebt und arbeitet zusammen als Künstlerpaar, aber ihr thematisiert es nicht. Eure Arbeit könnte auch eine Einzelperson machen. Es würde mich interessieren, ob es ein jeweils eigenes künstlerisches Werk vor eurer Zusammenarbeit gab, seid ihr über ein bestimmtes Thema zusammen gekommen?
Kerber: Es gab natürlich eine eigene Arbeit davor, aber wir waren beide noch sehr jung. Wir sind gemeinsam nach Paris gegangen, um dort zu studieren, und haben uns nach einem Jahr Sprachstudium auch gemeinsam an der Akademie beworben. Wir hatten einzelne Arbeiten in der Mappe und auch eine gemeinsame Arbeit. Und so wurden wir auch genommen. Im ersten Jahr des Studiums haben wir immer mehr gemeinsam gearbeitet, das hat sich spontan entwickelt.
Kreißl: Irgendwann haben die Professoren gesagt, wir sollen uns entscheiden, aber da war für uns die Entscheidung eigentlich schon gefallen.
Müller: Gibt es eine Arbeitsteilung, hat jeder seine Schwerpunkte?
Kerber: Wir mussten ganz eigene Methoden entwickeln. Weil wir nichts abgesprochen haben. Wir kamen wirklich über das Tun zum gemeinsamen Arbeiten. Der Computer hat uns unglaublich geholfen. Man kann die Arbeit einfach abspeichern, der andere kann das Dokument öffnen und weiterarbeiten. Das war eine Methode und ein Werkzeug, das wir relativ schnell genutzt haben, das setzt sich bis heute fort. Zum Beispiel die Zeichnungen: Wir wissen gar nicht mehr, wer von uns die einzelnen Zeichnungen gemacht hat. Einer zeichnet, der andere hat es aufgenommen, ein bisschen verdreht und wieder abgespeichert, der nächste nimmt es wieder und kombiniert es mit neuen Motiven.
Kreißl: Das ist ja das Spannende, es gibt keine separate Handschrift, das ist für uns nicht wichtig, alles ist wie im Fluss.
Kerber: Und mit den Modellen ist es genauso. Wir haben einen großen Pool an Modellen, Materialien und Formen.
Kreißl: Je mehr Regeln aufgestellt werden, desto mehr wird ja auch der Prozess lahmgelegt. Es ist wie ein Spiel, bei dem der Ball in der Luft gehalten werden muss.
Müller: Es ist ja nicht ganz einfach den Punkt zu finden, an dem eine Arbeit fertig ist. Wenn man zu zweit arbeitet, ist das eher eine Erleichterung? Oder ein Problem?
Kreißl: Das ist schon ein kritischer Punkt.
Kerber: Man muss natürlich immer an übermorgen denken, muss im Blick haben, wo der Prozess wieder in Gang gesetzt werden kann. Aber das funktioniert, weil einer von beiden auch schon wieder weiterdenkt, eine neue Idee mitbringt.
Müller: Vielleicht zum Schluss ein Ausblick auf die nächsten Projekte und Ausstellungen?
Kerber: Wir arbeiten gerade an dem Katalog, der von der Hessischen Kulturstiftung finanziert wird. Das ist wichtig, weil es unser erster monografischer Katalog ist.
Kreißl: Und dann nehmen wir an einem geladenen Wettbewerb für Kunst am Bau teil. Ganz spannend, etwas Festes, Haltbares, das Bestand hat…
Kerber: Das ist für uns ein interessanter Punkt, zum ersten Mal etwas eins zu eins zu bauen…
Müller: Aber was heißt denn eins zu eins? Geht es darum überhaupt?
Kerber: Ich weiß es auch nicht. Wir werden sehen. Ich bin gespannt.