editorial
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,
gestern noch sonnte sich der Sommer auf den Dächern, und heute werfen sich die letzten Blätter ins Laub. Das Jahr geht zu Ende und Stadt, Land und Natur nehmen ihre herbstliche und bald schon winterliche Gestalt an. Jahr für Jahr werden wir Zeuge einer Verwandlung, die wir zwar rational erfassen und erklären können, die aber ihre magische Implikation immer noch nicht ganz eingebüßt hat.
In der Kunst begegnen uns Verwandlungen nicht nur als Motiv, sondern sind als Prozess allgegenwärtig: Unter den Händen von Künstler*innen verwandeln sich Farbe und Linie in Abbilder der Realität und schlussendlich in das, was wir Kunst nennen. In der modernen und zeitgenössischen Kunst wird diese regelrecht mit magischen Qualitäten belegte Verwandlung schließlich infrage gestellt und konterkariert. Kunsthistorisch findet in Marcel Duchamps Fontaine diesbezüglich eine Zäsur statt, da hier die Transformation nicht die Gestalt, sondern den Begriff selbst betrifft. Die Veränderungen in der Kunstwahrnehmung, Transformation und Wandel sind auch in den hier vorgestellten Ausstellungen zentrale Themen.
Im Marburger Museum für Kunst und Kulturgeschichte finden wir in der Ausstellung Kompass Beuys: Werke aus der Sammlung Ludwig Rinn Einblicke in das Arbeiten des Künstlers Joseph Beuys, dessen Werk man nicht zuletzt als Transformator von Wahrnehmung bezeichnen kann. Der verwandelte Kunstbegriff Beuys’, der sich beispielsweise in der Sozialen Plastik ausdrückt, hat auch die Kunstauffassung des Sammlers Rinn verändert.
Der Musiker, Komponist und bildende Künstler John Cage verändert unsere Wahrnehmung von Kunstwerken und historischen Objekten, indem er in seiner Ausstellungskomposition Museumscircle im Zollamt des Frankfurter MMK auktoriale Erzähltraditionen von Sammlungen und Museen auflöst und die Exponate in zufällige Konstellationen überführt.
Surreale Begegnungen und märchenhafte Verwandlung sind Motive der türkischen Malerin Necla Rüzgar, die in der Grimmwelt in Kassel ihre während der Pandemie entstandene Werkserie My Name Was Written On Every Page ausstellt.
Einen Wandel in der Diskussionskultur um den Suizid strebt das Museum für Sepulkralkultur in Kassel mit der Ausstellung Suizid – Let’s talk about it! an. Neben zahlreichen Workshops und Vermittlungsangeboten, einer begleitenden wissenschaftlichen Publikation und einem Hilfsangebot vor Ort sieht die Ausstellung vor allem in der Auseinandersetzung mit Kunstwerken eine Möglichkeit, das Sprachtabu rund um das Thema Suizid zu brechen.
Im Interview berichtet unser Stipendiat Felix Breidenbach, der den Beginn der Corona-Pandemie im Atelier in New York miterlebte, von seiner künstlerischen Arbeit. Er hat in seinem Werk den Kreislauf von Aufstieg und Fall und den steten Wandel zu wichtigen Motiven in seiner Arbeit entwickelt.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre, eine besinnliche Weihnachtszeit und einen angenehmen Übergang in das neue Jahr!
Eva Claudia Scholtz
Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung