stipendiatin
helga fanderl
Seit Mitte der 1980er Jahre macht Helga Fanderl Filme, im Format Super 8. Pflasterzeichnen, Apfelernte, Mädchen oder Karpfen in Farbe schwimmend – die Titel aus ihrem inzwischen auf rund 1000 Filme angewachsenen Werk bezeichnen wörtlich das jeweilige Motiv, oder besser: das Ereignis, das Fanderl mit der Handkamera aufgenommen hat. Ihr geht es darum, ihre Wahrnehmung vorgefundener Realität bzw. ihren Gegenstand, die Figur im Moment des Filmens zu gestalten. Die kurzen Sequenzen entstehen auf eine sehr körperliche Art in einer Filmsprache, die man vergleichen kann mit Bildauffassungen und Gesten in der Zeichnung und Malerei.
Für ihre künstlerische Ausbildung hat Helga Fanderl 1987 bis 1992 an der Städelschule bei Peter Kubelka und anschließend an der Cooper Union School of Arts New York bei Robert Breer studiert. Schon bald erweitert sich die filmische Arbeit in das Performative. Ihre Bildkompositionen stellt sie in wechselnden Programmen selbst vor; die Filmprojektion direkt im Zuschauerraum gehört wie das Surren des Vorführapparats zum Setting ihrer Präsentationen: Kino im Original.
Fanderls Filme sind in internationalen Sammlungen zu finden, im Centre Pompidou und im Auditorium du Louvre, im Frankfurter Museum für Moderne Kunst und der Kinothek Asta Nielsen. Das Deutsche Filminstitut – DIF e.V. archiviert ihre Originale. Neben Auszeichnungen wie dem Coutts Contemporary Art Award 1992, dem Preis der deutschen Filmkritik 1998 in der Kategorie Experimentalfilm hat die Filmmacherin 2000 den Hessischen Kulturpreis erhalten und war im gleichen Zeitraum Atelierstipendiatin der Hessischen Kulturstiftung in Paris. Über diese ungewöhnliche künstlerische Laufbahn und ihr filmisches Werk haben Karin Görner und Helga Fanderl im Interview gesprochen.
Ganz aktuell gibt es im Februar die Gelegenheit, Fanderl im Künstlergespräch und mit Filmprogramm zu erleben.
Karin Görner Das Stipendienprogramm der Hessischen Kulturstiftung besteht seit 25 Jahren, Anlass genug, bei früheren Stipendiaten nachzufragen und zu schauen, wie sich deren künstlerische Karrieren entwickelt haben. Gibt es qualifizierbare Effekte? In welcher Situation deiner künstlerischen Laufbahn hast du dich befunden, als du 1999/2000 im Atelier Paris gearbeitet hast?
Helga Fanderl Es hat mir sehr, sehr viel gebracht. Ich war ja schon älter, als ich Film als mein Medium entdeckt habe. Neben dem Kunststudium unterrichtete ich mit halber Stelle. Nach der Städelschule war ich ein Jahr als Austauschstudentin in New York City. Danach versuchte ich klarzukommen mit meiner Filmarbeit und mit der Brotarbeit. Das war natürlich manchmal ganz schwierig. Während des Studiums hatte ich mir schon ein Jahr freigenommen, was sehr gut für meine künstlerische Entwicklung war. Das gleiche gilt für Paris. Ich hatte damals das Projekt, bereits gefilmtes Material für einen 16mm-Film mit Ton zu schneiden, also eine für mich neue Arbeitsweise anzugehen, wozu ich ungeteilte Zeit brauchte. Aber plötzlich war ich verpflanzt an einen anderen Ort. Das Projekt, mit dem ich gekommen war, konnte ich nicht einfach verwirklichen. Die Stadt ist auf mich eingestürzt. In der neuen Umgebung musste ich mich erst einmal orientieren. Ich geriet in den Konflikt zwischen dem mitgebrachten Vorhaben und der Öffnung für das, was um mich herum war. Die Krise war extrem schwierig und wichtig. Als ich sie durchlaufen hatte, setzte das viel Kreativität frei. Ich begriff, was mein Anliegen mit dem Film ist und dass ich dazu stehen muss, warum ich am liebsten mit einer Super-8-Kamera arbeite. Für mich ist sie ein Instrument nicht nur zum Aufzeichnen, sondern auch zum Gestalten des Films, während ich filme. Das ist mir in Paris noch einmal bewusst geworden. Mit der beweglichen kleinen Kamera kann ich inspiriert arbeiten im Moment der Begegnung mit meinem Gegenstand. Ich gehe ganz und gar rein, ich gehe aufs Ganze, konzentriere und verliere mich und finde gleichzeitig die Form, die meinem Erleben und dem Motiv entspricht. Das überträgt sich auf den Film, der in der Kamera entsteht. In der Zeit in Paris habe ich viele neue Filme gemacht. Zum Festigen meines Selbstverständnisses und des Verhältnisses zu meiner künstlerischen Arbeit war die Auszeit wunderbar.
KG Du kanntest Paris schon?
HF Ja, ich habe eine lange Geschichte mit Paris. Ich habe einen nicht ganz neuen Ort entdeckt, aber einen neuen mit der Kamera. Und ich konnte dort auch die Filmszene, andere Filmmacher und Künstler und Institutionen kennenlernen und Kontakte knüpfen, Arbeiten zeigen im Atelier und außerhalb. Das war natürlich auch prima. Das Stipendium bedeutete für mich Freiheit und Inspiration.
KG Diesen Punkt, dass das Stipendium zu einer Klärung des eigenen Künstlerseins und der jeweiligen Arbeitsweisen führt, haben auch einige andere Kollegen und Kolleginnen genannt.
HF Ja, das muss man ja immer wieder machen. Das Atelierstipendium bekam ich sechs Jahre nach dem Studium. Es forderte mich heraus zu prüfen, wer bin ich jetzt und an einem anderen Ort. Eine gute Geschichte.
KG Denkst du, dass das für junge Künstler heute eine ähnliche Rolle spielt?
HF Ich glaube schon. Es ist sehr wichtig, diesen inneren Prozess durchzumachen. Es muss eine Notwendigkeit bestehen, soll die Arbeit gut werden. In den Kunsthochschulen stellt sich heute die Frage nach dem Kunstmarkt viel zugespitzter. Es ist nicht leicht für die Jüngeren, sich diese innere Freiheit zu nehmen und sich zu entwickeln, das eigene Anliegen herauszufinden. Es geht ja nicht nur um Kunst, sondern um eine Existenzweise, und die ist riskant. Man ist ja auf die eigene Produktivität angewiesen und auf die Resonanz von außen. Viele müssen nebenher jobben, um sich zu unterhalten.
Ich komme von der Literatur her, ich wollte schon als Jugendliche, ganz naiv, Dichterin werden, habe dann Literaturwissenschaften studiert. Dieses Studium war nicht, was ich mir vorgestellt hatte und das Gewicht der vielen großen Werke schüchterte mich ein. Jedenfalls brachte der spätere Bruch in meiner Biografie, von der Literatur zum Film, eine lange Auseinandersetzung mit mir selbst. Ich hatte keine Ahnung von meiner starken visuellen Beziehung zur Welt gehabt. Es war kein einfacher Weg, sozusagen aus dem Kopf nach außen zu gehen, mit der Kamera, mit der Hand, dem Auge, dem Sucher.
KG Jetzt sind wir schon mittendrin bei deiner Arbeitsweise. Du hast in Paris zur Anerkennung deines Mediums Super 8 gefunden, das schon längst ausgestorben zu sein scheint und von Video abgelöst worden ist.
HF Als ich damit angefangen und mir im Frankfurter Bahnhofsviertel eine gebrauchte Super-8-Kamera gekauft habe, hatte Video Super 8 als Amateurmedium schon vertrieben. Ich bin eigentlich durch einen glücklichen Zufall überhaupt zum Filmen gekommen. Der Künstler Urs Breitenstein hatte einen Kurs angeboten „Super 8 als künstlerisches Medium“ und mich gefragt, ob ich mitmachen will. Ich habe damals weder gemalt noch gefilmt, noch war ich cinephil. Wieso fragt er mich, dachte ich, machte aber den Workshop mit, als einzige filmisch unbedarft. Und da hatte ich es oder es mich entdeckt, mit der Kamera durch die (damals Frankfurter) Welt zu gehen.
Der erste kleine Film, den ich einige Zeit später für gelungen hielt, war Poesie. Ich spürte, da ist etwas da. Im gefilmten Bild war mir ein visuelles Gedicht gelungen. Erst später habe ich mich – als Gaststudentin – zu Kubelka an die Städelschule getraut. Als er diesen kurzen Film gesehen hatte, fragte er mich, ob ich seine Studentin werden will. Es dauerte aber noch eine Weile, bis ich dann, mit 40 Jahren, tatsächlich Vollstudentin wurde und akzeptieren konnte, Künstlerin zu werden.
KG Es ist wahrscheinlich für viele ein längerer Prozess, den stimmigen Beruf, die stimmigen Arbeitsweisen und -inhalte zu finden. Es ist schon ein Glück, diesen Prozess durchgemacht und das eigene Selbstverständnis gefunden zu haben für ein gelungenes künstlerisches Arbeitsleben.
HF Ja, und es gibt noch einen weiteren Aspekt, nämlich die wirtschaftliche Seite. Es ist ja nach wie vor so, dass viele Künstler von ihrer Arbeit nicht leben können. Mit dieser Situation klarzukommen braucht viel Kraft. Hier kommen Förderungen und Stipendien ins Spiel. Sie sind wichtig, vor allem auch ohne Altersbegrenzung, wie es die Stipendien der Hessischen Kulturstiftung ja sind. Ich habe in meiner damaligen Situation davon sehr profitiert.
KG Künstlersein bedeutet sicherlich in vielen Fällen in prekären Arbeitsverhältnissen zu leben, aber eben auch, damit verbunden, die notwendige Freiheit und Flexibilität für kreative Praxis zu haben. Wie siehst du das?
HF Ich habe meine Super-8-Originale immer selbst finanziert, um diese Freiheit zu haben und nicht in eine Art Produktionszwang und Abhängigkeit zu geraten. Meine Filme sind so fragil, und durch meine direkte Arbeitsweise besteht immer das Risiko zu scheitern. Damit muss ich leben. Wenn mir aber ein Film gelingt, ist das sehr befriedigend.
KG Du hast inzwischen an die tausend kurze Filme in deinem Archiv. Alle auf Super-8-Material ohne Ton. Die stellst du in immer wieder neuen Kombinationen für Vorführungen und auch installative Arbeiten zusammen. Deine Filme werden international präsentiert in Kinematheken, Museen, Ausstellungsräumen, Galerien, auf Festivals und in Workshops und gerade auch von jungen Filmmachern sehr aufmerksam gesehen. Deine Filmarbeit ist eine gewachsene singuläre Position, sowohl was die Entstehung der kleinen Formate betrifft, als auch die Form der Vermittlung. Kannst du über deine Vorgehensweise noch etwas sagen?
HF Wenn ich frei bin, habe ich die Kamera dabei und schaue, was mir begegnet. Es gibt Grundmuster, die mich faszinieren. Es sind oft Bewegungsmuster, es sind die Elemente, Wasser, Luft, Licht und Schatten. Also alles, was in der Welt vibriert. Ich muss etwas wahrnehmen, was mich anspricht, dann erst greife ich zur Kamera. In einem intensiven und konzentrierten Wahrnehmungsmoment entsteht eine Bildidee und Gestaltungsvorstellung in mir. Und ich muss schnell die passenden Stilmittel bestimmen, zeitliche Abfolge, Tempo, Rhythmus, Nähe, Distanz … Das filmische Kommunizieren und Umformen von dem, was ich intensiv erlebe, ist beglückend. Wenn in diesem Zusammenspiel alles stimmt, meine Entscheidungen richtig sind, dann kann der Film die Zuschauer berühren und mein Erleben nachvollziehbar machen. Es geht um Gegenwärtigkeit in meinen Filmen, einen poetischen Zugang zur Welt, der eben nicht mit Worten, sondern visuell vermittelt wird.
Meine Sicht auf die Dinge, die Aufmerksamkeit für Bilder und Szenen, für das scheinbar Nebensächliche, meine Neigung zur Assoziation, wurde sicherlich früh geprägt. Dazu kam später der Einfluss der Dichtkunst – kurze Form, visuelle und rhythmische Verdichtung, Klangmalerei – und noch später das Gestische in Zeichnung und Malerei.
Vielleicht fühlen sich Jüngere auch von der Vorführweise meiner Filme angesprochen. Der Projektor steht auf einem hohen Sockel im Raum, man sieht den Filmstreifen und die Projektion als solche, man hört den mechanischen Ton des Filmtransports. Ich führe auch meistens selber vor. Es ist immer ein auf den Ort bezogenes, lebendiges Ereignis.
- Lecture: 15. Februar 2018, 19.30 Uhr
- Programm Films 2000 – 2016: 18. Februar 2018, 18.30 Uhr
- CCCB
- Montalegre 5, Barcelona / Spanien