In alle Welt

Der lesenden Welt war und ist in weiten Teilen auch heute, nach 250 Jahren, dieser Roman werter als andere: Goethes Werther – 1774 veröffentlicht, prompt ein Bestseller, europaweit. Der hier bemühte Komparativ erzeugt zwar altertümelnde Sprachmimikry, trifft aber den Kern des Werthers, den Plot wie auch den enthaltenen Mehrwert, in dem die globale Wirkung des Textes begründet liegt. In der Figur des Titelhelden, eines Außenseiters, der getrieben ist vom Begehren nach einer für ihn unerreichbaren Liebe, ist gesteigerte Wertschätzung buchstäblich angelegt: Werther hält sich ob seiner kompromisslosen Leidenschaft für „werther“ als die bornierte Mehrheit, die sich an Konventionen und Erwartungen ausrichtet. Übermäßige Empfindungsfähigkeit hindert ihn am Leben und führt über die Leiden an der unerfüllten Liebe, die seine Existenz wertlos macht, in den Suizid. Werthers Vermächtnis: sein widerständiges Potenzial. Der Held des Kultbuchs ist über 250 Jahre lang den Pistolentod gestorben, sein Einfluss auf die kreative Welt der Literaturen, Künste und sich wandelnden Medien wirkt fort. Dass der Wertherstoff nicht an Wert verloren hat, zeigt, wie grundsätzlich und zeitlos gültig die Kernthemen sind, die über nationale und kulturelle Grenzen hinausreichen: Selbstbestimmung, Aufbegehren gegen soziale Zwänge, Moral und Tod. Er hat sich global verzweigt, in anderen Kulturtraditionen fortgeschrieben, in Sprache wie auch künstlerischer Form neue Blüten getrieben. Ein Katalog zum Jubiläum blättert die unterschiedlichen Facetten der Werther-Wirkung seit Erscheinen des Romans auf, von analog bis digital und multimedial, vom Kulturgut bis zur Popkultur. In der Schöpfung von immer neuen Formen drückt sich die zukunftsweisende Wertschätzung für den Stoff aus. Zu der Frage „Stirbt der Werther niemals?“ – er lebt, solange seine Themen resonant sind und er Antworten darauf finden lässt, was wert(er) ist im Leben.