stipendiat
valentin beinroth
Mit den Themen Messen und Ordnen beschäftigt sich Valentin Beinroth (*1974) schon seit Jahren. Der in Frankfurt am Main lebende Künstler hat an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach Freie Kunst studiert und verbindet in seinen Arbeiten künstlerische mit naturwissenschaftlichen Strategien. Beinroth, der beinahe Physiker geworden wäre, durchleuchtet Setzungen, Methoden und Systematisierungen in der Wissenschaftsgeschichte und bricht sie auf – so, dass die Skepsis gegenüber normativen Ansprüchen Platz gewinnt. Seine oft sehr aufwändigen, detailreichen Recherchen, Materialsammlungen und Präsentationsformate folgen klassisch-historischen Vorstellungen von Forschung, Sammlung und Weltbeschreibung; die wissenschaftsästhetische Appropriation führt sie gleichzeitig ad absurdum, und durchaus auch ins Komische.
Sein Stipendium hat Valentin Beinroth für die Planung und Durchführung einer Expedition nach Neuseeland verwendet. Auch mit institutionellem Background optimal ausgerüstet brach der Künstler-Forscher im November 2014 mit seiner Familie zu einem dreimonatigen Aufenthalt am anderen Ende der Welt auf. In der eben zu Ende gegangenen Schau New Frankfurt Internationals – Solid Signs hat Beinroth unter anderem das Konzept seines Vorhabens vorgestellt. Über die Reise und ihre Ergebnisse haben sich Valentin Beinroth und Karin Görner kurz nach seiner Rückkehr unterhalten; eine umfassende Publikation dazu ist in Vorbereitung.
Zu früheren Arbeiten sind 2010 der Katalog Specimen removed anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen, sowie die Edition Ordo & Mensura zur Verleihung des Rudi-Seitz-Kunstpreises 2009 erschienen.
GSAE 2014/15 General Survey Antipodes Expedition
Expeditionszeitraum: 2014-11-12 – 2015-02-08
Ziel der Forschungsreise war die Datenerhebung auf beiden Hauptinseln Neuseelands unter Verwendung von eigens zu diesem Zweck entwickelten Messinstrumenten, in Kombination mit der Erfassung spezieller empirischer Daten im Rahmen einer Feldstudie zur allgemeinen Vermessung.
Die Vermessung folgt in der Messmethode einem photogrammetrischen Ansatz, in Kombination mit systematischer wissenschaftlicher Beobachtung. Die Messeinrichtung besteht dabei aus optisch-mechanischen Messgeräten in Verbindung mit Instrumenten zur Richtungs- und Positionsbestimmung sowie weiteren Messmitteln.
Das entwickelte Vermessungsverfahren ist ein passives Fernerkundungsverfahren zur berührungslosen Rekonstruktion des Messobjekts (der räumlichen Umgebung) aus der fotografisch festgehaltenen Reflexion seiner Strahlung im Messgerät. Der reflektierende Messkopf des Messinstrumentes weist dabei einen spezifischen Verzerrungs-Koeffizienten auf.
An bestimmten, räumlich verteilten Orten in Neuseeland wurden mit Hilfe der Messeinrichtung Messbilder erstellt. Der Messaufbau erfolgte unter genauer Bestimmung der Position und Ausrichtung des Messgeräts, es folgte die Aufnahme der Fotografien des Messkopfes unter bestimmten, gemessenen Richtungswinkeln.
Protokollierung des Messaufbaus und Durchführung erfolgten sowohl fotografisch als auch zusammen mit dem Festhalten der gesamten Messdaten mittels Feldbuchführung. Den Ansprüchen der Reproduzierbarkeit entsprechend wurde neben der Protokollierung vor Ort die Vermarkung der Messpunkte mit Hilfe einer dauerhaft befestigten Vermarkungsscheibe vorgenommen.
Die gesamten zur Messung notwendigen Geräte und Werkzeuge waren in einer einzelnen Ausrüstungskiste untergebracht. Spezielle Vorrichtungen an der insg. 44 Kilogramm schweren Kiste ermöglichten es, sie in Form einer Lasten-Rikscha auch über unebenes Gelände zu den Messpunkten zu transportieren.
Auf der 8978 Kilometer langen in Neuseeland zurückgelegten Strecke wurden Messungen an 61 Punkten vorgenommen, von 34º 25’ 43.7” S, 172º 40’ 42.7” O im Norden bis 46º 40’26.2” S, 169º 00’ 04.1” O im Süden.
Die Auswertung und Quantifizierung des umfangreichen gesammelten Datenmaterials folgt in der anschließenden Phase des Vorhabens.
hks Herr Beinroth, selbst nach mehrfachem Studium Ihres Expeditionsberichts stellt sich bei der Leserin zunehmend Verwirrung ein: Mein extrem rudimentäres Wissen über Vermessungstechnik mag dafür ein Grund sein, vermutlich befinde ich mich aber in einem Zustand, der in Ihr Konzept passt. Worum ging es Ihnen in Neuseeland, in dieser Hinsicht?
beinroth Ähnliche Verwirrung erlebte ich tatsächlich auch bei Passanten vor Ort, die mich beim Vermessen beobachteten. Und auch hier waren meine Erklärungen, falls die Personen mich ansprachen, anscheinend meist zuerst nicht sehr befriedigend. Eine gewisse Hürde gibt es sicherlich zu überwinden, mein ganzes Vorgehen folgt zunächst sehr technisch anmutenden und scheinbar wissenschaftlichen Prozessen, die dem Betrachter auch erst einmal bewusst verschlossen bleiben sollen. Erst bei näherer Untersuchung erschließen sich einem gewisse Brüche. Vorhandenes Wissen zur Vermessungstechnik würde den Betrachter einige Zitate sicherlich direkt erkennen lassen, ihn aber wahrscheinlich gleichermaßen verwirren. Das Hauptstück meiner verwendeten Messinstrumente bewegt sich zum Beispiel bewusst zwischen einer eindeutigen Einordnung als ein technisches Gerät bzw. wissenschaftliches Hilfmittel und einer Kunstskulptur. Diese (vermeintliche) Diskrepanz ist ein wesentliches Element der Arbeit und wird an vielen Stellen so weitergeführt. So ist das ganze Vorgehen streng im Rahmen einer Expedition angelegt, mitsamt all ihren Phasen, mit dem Ziel der Vermessung Neuseelands. Also eine Expedition mit dem Ziel des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns, die im Titel die „allgemeine Vermessung“ trägt. Diese Messungen habe ich durchgeführt, die Ergebnisse werden sich jedoch erst bei der jetzt folgenden Auswertung zeigen.
hks Ihre künstlerische Arbeit bewegt sich ja häufig in einem Feld, in dem sich naturwissenschaftliche und künstlerische Praktiken überschneiden und Zuspitzungen auf je unterschiedliche Ordnungssysteme, wie etwa Objektivität hier und Subjektivität dort, ins Wanken geraten. Sie haben im Vorfeld der Neuseeland-Expedition das International Institute for General Survey / Institut für generelles Vermessen (IIfGS) gegründet – das klingt nach weiteren Verflechtungen?
beinroth Die Gründung des Instituts ist ein Teil der Arbeit selbst, es agiert als Ausrichter der gesamten Expedition und fungiert dem Forschungsunternehmen als Basis. Auf dieser Grundlage sollen zudem weitere Projekte entwickelt werden, die sich im Umfeld der „Generellen Vermessung“ bewegen. Ein Institut mit der Spezifizierung auf etwas Allgemeines bietet hier naturgemäß ein besonders breites Handlungsspektrum. Natürlich folgt mit der Institutsgründung daraus per se ein institutionelles Auftreten und demnach eine scheinbare Loslösung vom Individuum. In meinem Handeln in Neuseeland und der gesamten Kommunikation hatte dies einen festen Bestandteil. Visitenkarte, Briefbogen und Beschriftung an Kiste und Ausrüstung tragen offiziell wirkende oder zumindest die seriösen Züge einer wissenschaftlichen Einrichtung und folgen damit in einem weiteren Punkt dem Habitus des Forschers.
hks Gleichzeitig scheint mir die Einführung der Figur des Forschers, des Künstlers in dieser Arbeit eben auch der nächste Schritt zu sein, eine weitere Ebene, die Sie in früheren Projekten nicht explizit angesprochen haben.
beinroth Die Figur des Forschers war in früheren Werken eher unsichtbar im Hintergrund bzw. nicht direkt abgebildet. Bei diesem Projekt spielt sie aber eine wesentliche Rolle.
Besonders Expeditionen des 18. und 19. Jahrhunderts waren oft fest mit berühmten Entdeckerpersönlichkeiten verwoben. Sicherlich sind große Entdeckungen und Ergebnisse dauerhaft mit dem jeweiligen Forscher verbunden, doch auch die Gründe der Forschungsreise und der weitere Antrieb sind an die Forscherpersönlichkeit geknüpft. Aus den persönlichen Berichten der Forscher gehen hier Erklärungsansätze für die teils manische und fast selbstzerstörerisch verfolgte Ausführung der Vorhaben hervor. Der Polarforscher Ernest Shackleton schreibt in The Heart of the Antarctic (London 1909): „Men go out into the void spaces of the world for various reasons. Some are actuated simply by the love of adventure, some have the keen thirst for scientific knowledge, and other again are drawn by ‘the lure of little voices’, the mysterious fascination of the unknown.“
Die forschende Person kann also hier nicht im Hintergrund bleiben, und im Falle dieser Expedition besonders auch deshalb nicht, da ich selbst in jedem Messbild direkt abgebildet und mitvermessen werde.
Abenteuer, der Drang nach wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn, Faszination des Unbekannten, ein schon fast forschungsromantisches Bild schwingt mit bei Expeditionen in ferne Gefilde. Und die Wahl Neuseelands als Expeditionsziel ermöglichte mir, als Ort, der am weitesten von meinem aktuellen Atelier entfernt ist, wortwörtlich die Expedition ans andere Ende der Welt. Hier begab ich mich teils auch auf die Spuren früher Kartografen und Landvermesser, denn entdeckungsgeschichtlich hatte jeder Entdecker / Eroberer seine eigenen Kartografen und Landvermesser dabei. Vermessung / Kartografieren hat generell auch ein besitzbezogenes Element. Und besonders bei Entdeckungsreisen in der Zeit des Kolonialismus waren die Motive auch, sich vor Ort zumindest den Einflussbereich zu sichern. Nicht nur unter diesem Gesichtspunkt trägt mein Aufbruch zur Vermessung Neuseelands insofern eventuell auch vermessene Züge.