stipendiat herbert warmuth
Der Malerei in der Bilderflut des 21. Jahrhunderts immer wieder neue Aspekte abzugewinnen, ihre spezifischen Bedingungen im Zusammenspiel von Formfindungsprozessen, Materialqualitäten und Wahrnehmungspotenzialen auszuloten – dieses Anliegen steht im Mittelpunkt des Œuvres von Herbert Warmuth (*1960). 1995 bezog der in Frankfurt ansässige Künstler als einer der ersten Stipendiaten das Stiftungsatelier in Paris. Die bewegten Farbflächen von Flaggen und Fahnen als Symbole nationaler und internationaler Repräsentationen, die mancherorts in der französischen Hauptstadt zu sehen sind, inspirierten Warmuths bildnerisches Denken.
Daraus entstanden erste Werkgruppen von Fahnenbildern, in denen er das Verhältnis von Gegenstand und Abbild, Fläche, Körper oder Raum und der Gleichzeitigkeit von Illusion und Realität studierte. Der Künstler treibt die Auseinandersetzung seit den „Pariser Fahnen“ mit beharrlichem Forschergeist konsequent weiter. Ob in der offenen Form des shaped canvas oder im klassischen Format, durch Verwendung von Hemdstoffen, Bettlaken oder Plexiglas, zwischen gemalter Falte, vermeintlichem Fleck oder jüngst nur noch reduzierten, hervorquellenden Farbspuren
Warmuths Werke, ihre Bildoberflächen, Farb- und Illusionsräume stehen im Kontext klassischer und neu zu entwickelnder Bildtraditionen und Sehgewohnheiten.
Herbert Warmuth studierte an der Städelschule bei Thomas Bayrle, Johannes Schreiter und Bruce McLean. Seit den 90er Jahren entwickelt er parallel Werkgruppen auf Leinwand, auf Papier (u. a.) und als Objekte im Raum. Neben Ausstellungs- und Lehrtätigkeiten erhält er Aufträge für Kunstprojekte am Bau, etwa am Justizzentrum in Kassel und im Rudolf-Buchheim-Institut für Pharmakologie in Gießen.
Seine jüngsten Arbeiten sind bis 30. November in der Frankfurter Galerie Heike Strelow zu sehen.
Über seine künstlerische Entwicklung und die Wirkungsgeschichte des Stipendiums haben Friederike Bülig und Herbert Warmuth im nachfolgenden Interview gesprochen.
hks Herbert, du bist 1995 für ein Jahr in das Pariser Atelier in der Cité des Arts gezogen unweit der Kathedrale Notre-Dame, des Centre Pompidou und des Musée Picasso. Wie bist du als Maler der Stadt begegnet? Welche Erwartungen hattest du?
Herbert Warmuth Frankreich ist geografisch so nah und erschien mir damals doch so anders, eher etwas fremd. Von französischer Philosophie und Literatur fasziniert, hatte ich dennoch das Gefühl, dass die Art zu denken und der Umgang mit Sprache anders sind. Das war auch der Grund, warum ich nach Paris wollte. Ich wollte wissen, wie das ist und ob es Auswirkungen auf meine Arbeit hat.
Bei einem längeren Aufenthalt in New York zuvor, bei dem ich mich eigentlich nur umsehen wollte, musste ich nach einer Woche das Arbeiten anfangen, weil ich das Gefühl hatte, sonst existierst du in dieser Stadt nicht.
Paris war ganz anders. Anfangs ich viel durch die Stadt gelaufen. Ich fand es so schön und relaxt, dass ich eigentlich gar nicht arbeiten musste. Ich hatte sogar überlegt, ob ich das Stipendium abbreche. Beeindruckt auch durch Ausstellungen in den Galerien, im Palais de Tokyo und von Gemälden im Louvre, habe ich dann begonnen und an meiner Malerei weitergearbeitet. Durch den Kontakt zu dem Künstler Thomas Hirschhorn, der bereits in Paris lebte, und unsere Gespräche habe ich mich schließlich noch stärker auf Malerei konzentriert.
hks Thomas Hirschhorn ist für seine multimedialen Installationen und temporären Arbeiten im öffentlichen Raum bekannt geworden, die ganz im Sinne eines erweiterten Kunstbegriffs soziale Problemlagen thematisieren. Andere Künstler haben sich in den 1990er Jahren mit den neuen technischen Möglichkeiten oder der Erweiterung der Fotografie beschäftigt. Kannst du rückblickend von einer Erkenntnis sprechen, die dich bestärkt hat, in dem Medium der Malerei weiterzuarbeiten?
Warmuth Joseph Beuys und seine Arbeiten, seine Haltung und Aktionen, z. B. Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt, haben mich sehr beschäftigt, mehr als die neuen technischen Möglichkeiten oder die Fotografie. Anfangs war ich auch hin- und hergerissen, wollte einerseits malen, andererseits in die mich umgebende Welt eingreifen, sie einbeziehen. Thomas Hirschhorn hat vieles gemacht, was mich auch interessierte. Ich erinnere mich an eine Arbeit vom ihm, die ich damals in Frankfurt bei Konstantin Adamopoulos gesehen hatte, eine Art Altar, der aus den Bettelpappen von Obdachlosen aufgebaut war. Seine Arbeiten oder auch die des Konzeptkünstlers Santiago Sierra funktionieren ästhetisch und provozieren gleichzeitig.
Letztlich hat das aber zur Klärung beigetragen und meine Entscheidung bestärkt, mich als Maler zu begreifen. Es ging mir dann um die Fragen: Wie weit kann ich mit Malerei gehen? Was ist für mich eine adäquate Malerei heute? Heute in dieser sehr komplexen Welt, in diesen sehr komplexen Welten, bin ich sogar noch mehr von der Malerei überzeugt, gerade weil sie eine starke Tradition hat. Bilder lassen sich mit anderer Malerei in Beziehung setzen, sind daher gewissermaßen einordbar und überprüfbar. Malerei ist aber auch unmittelbar erfahrbar, emotional messbar. Entweder sie berührt mich oder sie tut es nicht. Natürlich kann ich damit keine Politik betreiben oder Ungerechtigkeiten verhindern, aber welche Kunst kann das schon? Malerei kann aber das eigene Bewusstsein stärken, das eigenständige Denken und Fühlen.
hks In Paris hast du die Werkserie der Fahnenbilder begonnen, die du bis heute fortführst. Sie zeigen die Farbabfolge von Nationalflaggen oder anderen Fahnen und suggerieren Bewegung durch gemalte Faltenwürfe. Was interessiert dich an dieser Dialektik von Wirklichkeit und Abbild oder wo verlaufen für dich die Grenzen von Gegenständlichkeit und Abstraktion?
Warmuth Bei den Fahnenbildern ging es mir anfangs um das Wiederkennen, zumindest das Wiedererkennen-Können, aber eben auch um die Erweiterung. Was muss passieren, damit ich das Wiederkennen auch hinter mir lassen kann? Wann wird das Bild autonom?
Die Fahnen, die ich benutze, bilden mehrere Farbflächen nebeneinander ab, die ich vor Paris auf der Leinwand fortgeführt oder teilweise auch übermalt habe. Zwei Vorstellungen von Malerei sind für mich grundsätzlich: die Farbfläche und die räumliche Illusion. In Paris habe ich in meinen Fahnenbildern diese beiden Vorstellungen zusammengebracht, indem ich die ganze Leinwand mit Falten illusionistisch übermalt und gleichzeitig in die Farbflächen von Fahnen aufgeteilt habe. Da gibt es dann die Gegenständlichkeit in Form von Falten und die „konkrete“ Farbfläche.
hks In den letzten Jahren hast du dich zunehmend mit der Stofflichkeit der von dir verwendeten Materialien auseinandergesetzt: Du benutzt Holz als Bildträger, setzt Plexiglas auf die Bildoberfläche, in der sich die Betrachter spiegeln, Textilien werden sichtbar in die Malerei integriert und erweitern plane Bildoberflächen und Außenkanten. Kannst du mehr über diese Entwicklung erzählen?
Warmuth Im Laufe der Zeit hat sich meine Arbeit immer mehr erweitert, wurde komplexer, so dass ich heute ganz viele verschiedene Vorstellungen einbringen und „aufeinander loslassen“ kann. Verschiedene Wirklichkeiten werden so zusammengebracht. Da gibt es Farbflächen, Brüche, Schnitte, wirkliche Stoffe und Falten, gemalte Falten, gemalte Flecken usw. Aus unterschiedlichen Fragmenten setze ich so ein für mich stimmiges, komplexes Bild zusammen, was unterschiedliche Einstiegsmöglichkeiten bietet.
Mir geht es letztlich um ein Berühren. Das kann emotional oder intellektuell sein. Durch eine Berührung erfährt man etwas, das man nicht sofort in Worte fassen kann und das dennoch das Gefühl vermittelt, dass es sich lohnt, sich damit zu beschäftigen. Es hat etwas mit einem selbst zu tun.
Es gibt viele Möglichkeiten, in Bildern etwas zu sehen. Meine Arbeit Beige, Orange, Weiß, Rosa durch Beige bietet vielleicht die Assoziation mit Haut oder zu etwas Fleischigem an. Aber das heißt nicht, dass man es so sehen muss. Jeder Betrachter begegnet der Kunst mit eigenen Assoziationen und eigener Begrifflichkeit. Selbst das Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch gibt mir die Möglichkeit, es als schwarzes Loch zu sehen.
In den Jahren habe ich einen gewissen Weg zurückgelegt. Aber der Gedanke, etwas zu machen, das mich berührt und das ich so noch nicht gesehen habe, treibt mich nach wie vor an.
hks Welche Rolle spielt der Zufall in dem Entwicklungsprozess?
Warmuth Malerei ist bei aller konzeptuellen Vorstellung ein prozessualer Vorgang. Dabei passiert gelegentlich Ungewolltes, Fehler, kleine Unglücke. Diese bergen immer die Möglichkeit von Erweiterung der Arbeit und von Integration neuer Möglichkeiten in sich. So ist mir mal die Säge abgerutscht und ich habe diese Spur dann integriert. Bei den späteren Arbeiten habe ich das aufgenommen und bin gleich mit der Flex ins Material reingegangen. Oder bei den aktuellen Plexiglasarbeiten: Da säge ich Schlitze ins untermalte Material, um die Farbe durch die Glanzfläche nach vorne dringen zu lassen. Da kam es dann schon mal zu einem ungewollten Bruch. Damit kann ich arbeiten oder die Scheibe wegschmeißen. Jetzt führe ich selbst Sprünge herbei, da ich sie als gute Erweiterung meiner Malerei begreife. Da geht es immer auch um ein Arbeiten mit und ein Einlassen auf das Material.
hks Seit 2007 bist du als Dozent an verschiedenen Kunsthochschulen tätig und vermittelst dein Wissen und deine Erfahrungen an nachfolgende Generationen weiter.
Warmuth Mir macht es Spaß, zur Klärung beizutragen, was junge Künstlerinnen und Künstler selber wollen, was Kunst für sie persönlich bedeutet. Als Maler natürlich auch, was mit Malerei möglich ist, und ob Malerei das richtige Medium für den Einzelnen ist. Bei den Kunstpädagogen an der Goethe-Universität in Frankfurt ging es mir neben dieser eigenen Kunsterfahrung und Klärung auch um die Begrifflichkeit, die man benötigt, um Kunst zu vermitteln. Bei Kunststudentinnen und -studenten und jüngeren Künstlern geht es außerdem darum, wie sie selbst ihre professionelle Arbeit begreifen. Neben der entscheidenden Arbeit an der eigenen Kunst, betrachte ich es als Teil des Künstlerdaseins, sich auch damit zu beschäftigen, was das Kunstgeschäft bedeutet und wie ich mich darin verhalte, positioniere.
hks Wie bewertest du Stipendien in diesem Zusammenhang?
Warmuth: Anerkennung und finanzielle Zuwendung helfen in jungen Jahren und stärken das eigene Selbstverständnis. Beweisen muss sich die Kunst aber auf Dauer.