© Elisa Caldana und Diego Tonus 2017
Elisa Caldana und Diego Tonus: Khalid Abdalla während der Studioaufnahmen für Topography of Terror (19. 12. 2016), Fotografie, Goldsmiths Music Studios (London), 2017 ©
© Elisa Caldana und Diego Tonus 2017
Elisa Caldana und Diego Tonus: Filmscript Topography of Terror (19. 12. 2016), Seite 3, Inkjet print auf Papier, handschriftliche Notizen, 29,7 × 21 cm ©
© Elisa Caldana und Diego Tonus 2017
Elisa Caldana und Diego Tonus: Ohne Titel, Zeichnung auf Papier, 10,2 × 7 cm ©
© Elisa Caldana und Diego Tonus 2017
Elisa Caldana und Diego Tonus: Film Stills aus Topography of Terror (19. 12. 2016), Film HD, Color / Sound, 31', 2017 ©
© Elisa Caldana und Diego Tonus 2017
Elisa Caldana und Diego Tonus: Film Stills aus Topography of Terror (19. 12. 2016), Film HD, Color / Sound, 31', 2017 ©
© Elisa Caldana und Diego Tonus 2017
Elisa Caldana und Diego Tonus: Film Still aus Topography of Terror (19. 12. 2016), Film HD, Color / Sound, 31', 2017 ©
© Elisa Caldana und Diego Tonus 2017
Elisa Caldana und Diego Tonus: Film Still aus Topography of Terror (19. 12. 2016), Film HD, Color / Sound, 31', 2017 ©
© Elisa Caldana und Diego Tonus 2017
Elisa Caldana und Diego Tonus: Film Still aus Topography of Terror (19. 12. 2016), Film HD, Color / Sound, 31', 2017 ©
© Elisa Caldana und Diego Tonus 2017
Elisa Caldana und Diego Tonus: Film Still aus Topography of Terror (19. 12. 2016), Film HD, Color / Sound, 31', 2017 ©
© Elisa Caldana und Diego Tonus 2017
Elisa Caldana und Diego Tonus: Film Still aus Topography of Terror (19. 12. 2016), Film HD, Color / Sound, 31', 2017 ©
Elisa Caldana und Diego Tonus: Film Stills aus Topography of Terror (19. 12. 2016), Film HD, Color / Sound, 31', 2017
© Elisa Caldana und Diego Tonus 2017
Elisa Caldana und Diego Tonus: Film Still aus Topography of Terror (19. 12. 2016), Film HD, Color / Sound, 31', 2017 ©
© Elisa Caldana und Diego Tonus 2017
Elisa Caldana und Diego Tonus: Film Still aus Topography of Terror (19. 12. 2016), Film HD, Color / Sound, 31', 2017 ©

stipendiatin elisa caldana

Elisa Caldana, 1986 in Pordenone geboren, hat im Anschluss an ein Studium in Visual Arts und Performance an der IUAV Universität Venedig (BA/MA) 2013 als Meisterschülerin bei Prof. Simon Starling an der Frankfurter Städelschule abgeschlossen. Während ihres Stipendiums im Londoner Atelier der Hessischen Kulturstiftung realisierte Caldana eine konzeptionelle filmische Arbeit in Kooperation mit dem Künstler Diego Tonus. Er studierte ebenfalls Visual Arts an der IUAV Universität Venedig und am Sandberg Instituut Amsterdam (MFA).

Zentrales Thema ihres gemeinsamen Projektes Topography of Terror (19. 12. 2016) sind die Effekte von Terrorismus in medialen Diskursen und verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen. Ihre Fragen gelten dabei sowohl den direkten Opfern terroristischer Gewaltakte als auch deren indirekten Zielen. Im Rahmen dieser hochaktuellen investigativen Recherche hatten Caldana und Tonus unter anderem Kontakte zu Journalisten zum Beispiel der BBC, mit psychoanalytisch arbeitenden Experten und Instituten wie etwa dem Freud Museum, dem DART Center for Journalism and Trauma in London oder dem Bereich Forensic Architecture an der Goldsmiths University. Der titelgebende virtuelle Film-Raum basiert auf den Entwürfen des Schweizer Architekten Peter Zumthor für die Stiftung Topographie des Terrors in Berlin; der Gebäudekomplex wurde bekanntermaßen nicht realisiert.

Im folgenden dialogischen Text erläutern Elisa Caldana und Diego Tonus ihr Projekt. Die Uraufführung von Topography of Terror (19. 12. 2016) findet im Rahmen einer gemeinsamen Ausstellung der beiden Künstler im September 2017 in der Galerie ar/ge kunst des Kunstvereins Bozen statt. Die von Emanuele Guidi kuratierte Schau wird am 8. September 2017 um 19 Uhr eröffnet. Weitere Präsentationen der Arbeit in Deutschland und Großbritannien sind in Vorbereitung.

Elisa Caldana Topography of Terror (19. 12. 2016) ist das Ergebnis meiner zweijährigen Zusammenarbeit mit meinem Künstlerkollegen Diego Tonus, deren Höhepunkt ein von der Hessischen Kulturstiftung getragener und von ACME Studios London organisierter Residenzaufenthalt in London 2016 war. Das Ergebnis unseres Dialogs ist ein Film, der sich damit befasst, wie im Journalismus unserer Zeit Information konstruiert wird. Unser Augenmerk gilt dabei der Rolle und dem Wert von Bildern als Werkzeug zur Fortschreibung des Terrors und der Manipulation unserer Wahrnehmung von Realität.

Diego Tonus Während unseres Jahrs in London hatten wir Gelegenheit, mit zahlreichen Journalisten zu sprechen – darunter auch Vertretern der BBC – und mit verschiedenen Institutionen wie zum Beispiel dem Freud-Museum zusammenzuarbeiten. Das Drehbuch basiert auf den Erkenntnissen aus diesen Gesprächen. Die Arbeit erzählt eine biografische Geschichte aus dem Blickwinkel eines jungen Journalisten, der unter einer sekundären Traumatisierungsstörung leidet.

EC In dem Film erinnert sich der Journalist an eine Unterhaltung, die er in der Vergangenheit mit einem Mitreisenden während einer Busreise durch den Eurotunnel auf dem Weg von Großbritannien zum Kontinent – im „Brexit-Raum“ – geführt hatte. In diesem geschlossenen Transitraum und während der Wartezeit auf die Einreiseformalitäten an der Grenze setzt sich der Journalist mit seiner Rolle als professioneller „Erzeuger“ von Information auseinander und schildert, wie die ständige Konfrontation mit Gewaltdarstellungen sein Leben und seine Träume beeinträchtigt.

DT Die Unterhaltung dreht sich darum, wie der Protagonist die Auswirkungen des Terrorismus auf unseren Alltag und dessen Wahrnehmung im öffentlichen und privaten Raum erlebt. Im Zuge dieses gedanklichen Exkurses wird die Unmöglichkeit deutlich, eine allgemeingültige und einheitliche Topografie des Terrors zu definieren. Der Protagonist beschäftigt sich mit der Schizophrenie des zeitgenössischen Terrorismus, mit dessen Widerhall in den Nicht-Räumen des Internets und der Medien (einer virtuellen Geografie), und mit dem Gedanken, dass Terrorismus nur deshalb funktioniert, weil er jederzeit und an jedem Ort ausgeübt werden kann. In diesem Raum der Verwundbarkeit (symbolisiert durch den Transitraum des Eurotunnels und der Grenze) steht die Identität eines jeden Einzelnen in Frage, einschließlich der des Anderen (des Fremden).

EC In der Unterhaltung mit dem Fremden hinterfragt der junge Journalist seine eigene Rolle im System der Nachrichten-Berichterstattung sowie den Pressekodex, an dem sich die Redaktionsarbeit orientiert. Der Gedankenprozess öffnet ihm die Augen für den systemischen Charakter des Terrorismus und für die inhärente Gewalt, die sich in der Definition beruflicher Rollen verbirgt. Er ist hin- und hergerissen zwischen der Gefahr, sich zum Mittäter des Terrorismus zu machen, weil eine allzu reißerische Berichterstattung der Verbreitung von Angst und Schrecken Vorschub leistet, und seiner moralischen Verantwortung auf der anderen Seite. Das führt ihn zu der Frage: Wie ist es um die Zukunft des freien Menschen bestellt, in einer Welt, in der der Terror zur neuen Normalität geworden ist?

DT Über das Jahr hinweg erhielten wir zahlreiche Besuche in unserem Atelier, und hatten das Glück, den Kurator Gareth Evans kennenlernen zu dürfen. Über ihn bekamen wir auch Kontakt zu dem Schauspieler Khalid Abdalla und sind sehr froh, dass wir in der Folge mit ihm arbeiten konnten. Er verkörpert den Protagonisten und leiht dem Film seine Stimme. Gemeinsam mit Khalid haben wir die Psychologie der Hauptfigur und deren Entwicklung im Verlauf der Handlung ausgearbeitet. Dieses Psychogramm erweckt Khalid mit dem faszinierendem Einsatz seiner Stimme zum Leben und lässt uns so am Zweifel und Argwohn des Journalisten teilhaben.

EC Für die Entscheidung, Khalid Abdalla zur Mitwirkung einzuladen, sprach vor allem dessen schauspielerische Biografie, die perfekt zum Inhalt des Films passt. Unter Anderem hatte er in United 93 – einem hoch gelobten Film über die Ereignisse des 11. September – den Terroristen Ziad Jarrah verkörpert, der bei der Entführung von United-Airlines-Flug 93 die Maschine flog. Als Aktivist gehörte Khalid darüber hinaus zu den Mitbegründern des Kairoer Mosireen-Kollektivs, einer Gruppe von Filmemachern und Aktivisten, deren Ziel die Förderung alternativer Medien nach dem Sturz von Mubarak ist.

DT Ein wesentlicher Aspekt des Films besteht darin, dass er in einem virtuellen Raum spielt, eben in dem nie verwirklichten Gebäude der Stiftung Topografie des Terrors, einem Konzept des Schweizer Architekten Peter Zumthor, das als Dokumentationszentrum auf dem Gelände entstehen sollte, auf dem während der Nazizeit 1933 bis 1945 das Berliner Hauptquartier von Gestapo und SS stand. In unserem Film übernimmt dieses nie realisierte Bauwerk die Rolle der virtuellen Kulisse und konzeptionellen Plattform. Das unverwirklichte Gebäude steht für eine Zukunfts-Gegenwart, die nie eingetreten ist. Es stellt damit einen ideellen Ort für alternative Zukunftsprojektionen dar, was es auch zur perfekten Plattform für einen Diskurs über aktuelle und potenzielle zukünftige Terrorbedrohungen macht.

EC Zu Beginn trug das Projekt den Arbeitstitel Topography of Terror. Nach dem ersten Schnitt entschlossen wir uns dann, das Datum des 19. 12. 2016 in den Titel aufzunehmen. Die Entscheidung orientiert sich an der Art und Weise, wie historische Ereignisse in den Medien abgespeichert werden und ins kollektive Gedächtnis eingehen. Der 19. 12. 2016 ist einerseits der Tag des Gesprächs zwischen dem jungen Journalisten und dem Fremden im Film. Er markiert aber auch ein reales Datum, der das fiktive Gespräch mit der aktuellen Terrordebatte verknüpft: Am 19. 12. 2016 wurde der russische Türkei-Botschafter Andrej Karlow- beim Besuch einer Kunstausstellung in Ankara ermordet.

DT Die computergenerierten Bilder des im Film gezeigten Gebäudes und seines Inneren sind Projektionen unserer Fantasie. Wir haben das Gebäude für dieses Projekt als detaillierte 3-D-Animation neu entstehen lassen. Dieser höchst aufwändige Prozess erstreckte sich über einen Zeitraum von sechs Monaten. Dazu gehörte nicht zuletzt das sorgfältige Studium der Materialien und Lichtsetzungen, um die vermutlich beabsichtigte Atmosphäre des Gebäudes nachzubilden. Zu diesem Zweck sind wir quer durch Europa gereist und haben das architektonische Werk Peter Zumthors besichtigt, um danach zu entscheiden, wie wir unser Modell filmisch darstellen wollten. Wir glauben, dass uns ein glaubwürdiges Abbild der geplanten Architektur gelungen ist.

EC Computergenerierte Bilder können Ideen sichtbar machen, die noch gar nicht real existieren und doch allein durch ihr Potenzial die Macht haben, in die Realität hinein zu wirken. Sie sind in einem Raum der Fantasie angesiedelt und adressiert an die Erwartungen, Wünsche und Überzeugungen des Betrachters, um diesen von der Notwendigkeit ihrer zukünftigen Verwirklichung zu überzeugen. Diese für Architekturdarstellungen häufig genutzte Technik kam auch in Topography of Terror (19. 12. 2016) zum
Einsatz – nicht nur aufgrund ihrer ästhetischen Faszination, sondern auch, weil sie das einzige verfügbare Tool war, um unsere Vorstellung zu visualisieren und mit den Mitteln des Films in der Tiefe zu erkunden.

DT Der finale Schnitt des Films fand im Londoner Studio statt. Als wir die Bilder des Gebäudes mit der Off-Stimme Khalid Abdallas unterlegten, wurde uns klar, dass dieser Film zwingend die Großbildprojektion fordert, um die Leere der Architektur und die kontemplative Wirkung der Stimme zu vermitteln, die dieses leere Gebäude erfüllt.

Die Konstruktion dieser inexistenten Architektur während unseres Residenzaufenthalts in London und deren Potenzial als konzeptionelle Plattform haben uns die Möglichkeit gegeben, die Arbeit in Zukunft um weitere filmische Kapitel zu ergänzen, erzählt aus den Blickwinkeln verschiedener Akteure, die heute an der Erzeugung und Verbreitung von Informationen über den Terrorismus beteiligt sind.

 

Übersetzung ins Deutsche: Peter Starlinger

Abonnieren Sie den maecenas, das Magazin der Hessischen Kulturstiftung.