stipendiatin lea letzel
Lea Letzel (*1984), diplomierte Theaterwissenschaftlerin, Medienkünstlerin und staatlich geprüfte Pyrotechnikerin, hat an der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Kunsthochschule für Medien in Köln studiert. Schon hier wird klar, klassisch ausgelegte Spartengrenzen sind in ihren Arbeiten nicht zu erwarten. Letzel setzt mittels Performance, Komposition, Musik, Konzertinstallationen und Video Raum, Körper und Wahrnehmung auf die neu auszutestende Agenda. In ihren vielseitigen Projekten entwickelt sie Situationen, die konventionelle Besetzungen von Kunst-, Konzert- und Theaterraum inhaltlich und formal hinterfragen. Die Beziehungen von Bild, Klang und Bewegung, sowohl auf der Produzentenebene wie der der Betrachter, stellen die zentralen Fragen, auch die nach der Autorschaft.
Während ihres Atelierstipendiums hat Lea Letzel in London zur Geschichte der schon Jahrhunderte alten Pyrotechnik geforscht. Die in Köln und Reykjavik lebende Künstlerin hatte schon während des Studiums pyrotechnische Effekte in ihr choreografisches Repertoire aufgenommen. Über die beeindruckenden Zusammenhänge von Wissenschaft, Kunst und Technik schreibt Letzel in ihrem nachfolgenden Stipendiumsbericht. In den nächsten Monaten stehen einige Projektveranstaltungen der Künstlerin auf dem Programm: Am 7. September 2018 ist ihre szenische Einrichtung für das SONAR Quartett bei Ränder III in der Villa Elisabeth, Berlin, zu sehen; am 13. September folgt ihre Inszenierung beim Favoriten Festival 2018 in Dortmund und am 27. Oktober wiederum eine szenische Einrichtung für das Ensemble Musikfabrik im WDR-Funkhaus am Kölner Wallraffplatz. Für den Herbst 2019 ist Lea Letzel als Stipendiatin des Goethe-Instituts in die Villa Kamogawa in Kyoto eingeladen, um sich dort mit der japanischen Feuerwerkerei auseinanderzusetzen. Außerdem ist ein Symposium zum Thema Pyrotechnics in the Arts geplant.
„I see explosives as my paints (…) There is an instinctive paranoia about explosions, my show concludes the opposite of this; they are not being used for all the dire things they can be used for. Some very gently things can come from explosions (…)“ Stephen Cripps (1978)
Feuer und Kunst sind eigentlich gegensätzlich wirkende Kräfte: während Feuer zerstörerisch wirkt, schafft die Kunst und mich interessiert eben genau die Arbeit an dieser Schnittstelle. Wir sind an die (medial vermittelten) Bilder von Zerstörung, Explosionen und Krieg gewöhnt, aber freuen uns dennoch über den Anblick einer funkelnd explodierenden Feuerwerksrakete. Woran liegt das? Meine Aufenthalt in London drehte sich um genau diese Fragestellung, um die gesellschaftliche und politische Funktion von Feuerwerken im frühmodernen Europa, um die Geschichte des Schwarzpulvers und das komplexe Zusammenspiel von Kunst und Wissenschaft bei der Erforschung und Entwicklung pyrotechnischer Effekte.
Für mein Diplom an der Kölner Kunsthochschule für Medien habe ich mich 2015 zur staatlich geprüften Pyrotechnikerin ausbilden lassen und bin jetzt Erlaubnisscheininhaberin nach dem 2. Gesetz der Sprengstoffverordnung. Meine Arbeit findet an der Schnittstelle von Performance, Installation und Musik statt und gerade die Arbeit mit Pyrotechnik, eigentlich eine unserer ältesten Kulturtechniken, erfordert das Zusammenspiel von mehreren Fähigkeiten wie Komposition, Verständnis für physikalische und chemische Vorgänge, analoge Elektrizität und Architektur.
Besonders interessiert mich die Beziehung von Klängen und Feuerwerk, und wenn man diese näher untersucht, dann kann man einige unerwartete Gemeinsamkeiten feststellen: Beides vergeht im Moment seines Entstehens. Pyrotechniker sprechen bei der Planung eines Feuerwerks von Komposition und von den Effekten als ihren Instrumenten, beides ist zeitbasiert und behandelt Fragen von Rhythmus und Raum.
In der British Library, dem Archiv der Royal Society und des Victoria and Albert Museums (V&A) habe ich über den Zusammenhang der Lustfeuerwerkerei und des Kriegswesens geforscht, alte Rezepturen und Chemikalien recherchiert, mich über die Beschreibungen und Erfahrungsberichte früher Feuerwerkerei amüsiert und mich mit den Produktionsweisen und Herstellungsverfahren von pyrotechnischen Effekten, den politischen Dimensionen sowie künstlerischen und wissenschaftlichen Versuchen der Feuerwerkerei beschäftigt. So geht zum Beispiel der Begriff des Laboratoriums auf die Experimentierräume der Feuerwerker zurück. Schwarzpulvereffekte wurden dazu genutzt, Entdeckungen der Wissenschaft nachzuweisen: Schwerkraft wurde zum Beispiel durch die Kunstfertigkeit der Feuerwerker wissenschaftlich belegt. Als ehemalige Studentin der Angewandten Theaterwissenschaft der Justus-Liebig Universität in Gießen bei Heiner Goebbels, beschäftigt mich die Frage nach der produktiven Verzahnung von Kunst und Wissenschaft sehr und umso mehr freue ich mich, wie sehr sie in der Pyrotechnik immanent ist. Die klassische Recherchearbeit in den Archiven konnte ich durch Gespräche mit dem Kulturhistoriker Simon Werret, der an der University of London Geschichte und Wissenschaftsphilosophie unterrichtet, ergänzen. Sein Hauptwerk Fireworks: Pyrotechnic Arts and Sciences in European History (2010) bildete die Grundlage für die Auseinandersetzung mit den performativen Aspekten der historischen pyrotechnischen Aufführungspraxis. Mit Elaine Thierney vom V&A habe ich vor allem über die politische Dimension der historischen Feuerwerkspraxis gesprochen.
Als besonders produktiv stellte sich die Auseinandersetzung mit dem Werk des pyrotechnic sculptor Stephen Cripps heraus. Während meines Aufenthalts wurde ich von ACME betreut, einer Organisation, die seit den 70er Jahren im Osten Londons Künstler nicht nur mit der notwendigen Infrastruktur in Bezug auf Atelier- und Wohnraum unterstützt, sondern auch mit der Acme Gallery (1976–1981) eine Plattform für Arbeiten von Künstlern bot, die sich den konventionellen Genregrenzen der künstlerischen Medien und Präsentationsformaten entzogen. Stephen Cripps konnte mehrere performative Formate in der Galerie umsetzen und ACME beherbergt bis heute einen Teil des Archivs des jung verstorbenen Künstlers. Die Möglichkeit mit dem Archivmaterial zu arbeiten hat mich sehr berührt, vor allem weil die Existenz zwischen den etablierten künstlerischen Gattungen heute wie damals die gleichen (institutionellen) Schwierigkeiten mit sich bringt.
Eine besondere Gesprächspartnerin war die Künstlerin Anne Bean, die eng mit Stephen Cripps zusammenarbeitete und in den 80ern zusammen mit dem Bildhauer Richard Wilson und dem Percussionisten Paul Burwell das Bow Gamelan Orchestra gründete. In großangelegten performativen Formaten haben sie mit Pyrotechnik gearbeitet. Aus dieser Konstellation wiederum ging die Firma LeMaitre hervor, heute eines der führenden Unternehmen in der Entwicklung von pyrotechnischen Effekten. Über LeMaitre hatte ich auch die Möglichkeit an einem Kurs teilzunehmen, der mich zu einem Mitglied der British Association of Stage Pyrotechnicians gemacht hat.
Die Konzert-Installation Incendiary Incidents ließ im Juli 2018 in der Kölner Kunst-Station St. Peter zwei musikalische Dialogpartner aufeinandertreffen, deren Verhältnis eigentlich von einer strengen Hierarchie geprägt ist: Beim Zusammenspiel von Musik und Feuerwerk übernimmt das Feuerwerk normalerweise eine untergeordnete Rolle. Es untermalt die musikalischen Bewegungen und fügt ihnen eine spektakuläre, visuelle Komponente hinzu.
Zusammen mit der Londoner Cellistin Lucy Railton und dem Kölner Musiker Florian Zwißler, der analoge Synthesizer spielt, wurde die Grundlage für eine konzeptionelle Improvisation in festem Rahmen entwickelt, die Pyrotechnik, Synthesizer und Cello als kammermusikalisches Trio gleichwertig aufeinandertreffen lässt. Die klanglichen Qualitäten von Schnurraketen, das Knistern von Silberwasserfällen und das percussive Trommeln von Bühnenblitzen wurden über den Zeitraum von etwa 2 Stunden installativ erfahrbar.
Die Kölner Jesuitenkirche hat hierfür nicht nur den perfekten Klangraum, sondern auch den passenden kontextuellen Rahmen geliefert: Noch bis vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurden die Messen auf Latein abgehalten. Besonders im Jesuitentheater, mit einem Höhepunkt im 16. und 17. Jahrhundert, bediente sich die katholische Kirche weltlicher Unterhaltungskonzepte, um die christliche Verkündigung dem des Lateinischen nicht mächtigen Volk nahe zu bringen. Feuerspeiende Drachen, Meeresungeheuer sowie die ungezähmten Naturgewalten, Blitz und Donner und andere Himmelserscheinungen, kamen zum Einsatz, um in den Gläubigen Gottesfurcht zu schüren.
Das sogenannte Jesuitentheater hat sowohl innerhalb der Kirche als auch in aufwändigen lang anhaltenden Umzügen unter freiem Himmel am Einsatz und der Weiterentwicklung pyrotechnischer Effekte gearbeitet.
Die konzeptuelle Arbeit und Aufführung von Musik steht für mich in einer direkten Verbindung zu den performativen Aufführungsformaten seit den frühen Avantgarden. Musikalische Notation kann nicht nur als Kommunikation über den Klang und Charakter eines Musikstücks verstanden werden, sondern als Handlungsanweisung, als Performancetext und als Choreografie von Bewegung. Sie rückt sie somit in die Nähe der performativen Künste. Einer Fragestellung, die mich weiter beschäftigt, konnte ich im Londoner Atelier auch nachgehen: Welche Formen von Darstellbarkeit von Notation lassen sich für eine Aufführungssituation produktiv machen?
Vom Musikreferat der Stadt Köln habe ich einen Kompositionsauftrag für die Videopartitur LINES, INSTRUCTIONS bekommen, die während des Forums Neue Musik des Deutschlandfunks am 13. April 2018 vom Ensemble Ascolta uraufgeführt wurde. Der Auftrag freut mich besonders, schließlich bin ich keine klassisch ausgebildete Komponistin, sondern meine Perspektive auf den Konzertbetrieb und die Konzertform entstammt der bildenden Kunst und der Performance bzw. dem Theater. Als bildende Künstlerin einen Kompositionsauftrag zu erhalten ist aufregend und wichtig und für den ansonsten extrem konservativen klassischen Musikbetrieb ein Novum!
LINES, INSTRUCTIONS wurde zusammen mit Elena Mendozas Fragmentos de teatro imaginario und Hans Joachim Hespos PSI uraufgeführt. In einem zweiten Teil hat sich das Ensemble mit historischem Fluxusmaterial beschäftigt. Der Konzertabend, für den ich auch die Gesamtdramaturgie und szenische Einrichtung übernommen habe, beschäftigt sich mit der Infragestellung der institutionalisierten Konzertsituation. Während das Konzert mit den Arbeiten von Hespos und Mendoza konkret mit der Konstruktion und Dekonstruktion der Konzertsituation spielt, hinterfragt LINES, INSTRUCTIONS die Autorschaft des Komponisten und setzt sich mit der Notation als Kommunikationsmittel zwischen Komponist und Musiker auseinander. Musikalische Notation wird als Handlungsanweisung vom Komponisten an die Interpreten verstanden und gibt nicht nur über den Klang eines Musikstücks Auskunft, sondern choreografiert auch die Körperbewegung der Musiker. Die Musiker des Ensemble Ascolta nutzen synchronisierte Laptops zur Anzeige eines Videoclips, der die konventionelle Partitur auf Papier ersetzt und von den Musikern gemeinsam interpretiert werden muss.
Der Computer übernimmt dabei nicht nur einen Teil der Rolle des Autoren, sondern auch die des Dirigenten und dazu die traditionelle Aufgabe des Notenblatts. Gleichzeitig wird er auch als ästhetisches Bühnenelement genutzt. Über die von den Bildschirmen in unterschiedlichen Helligkeiten und Farbigkeiten angestrahlten Musiker wird neben der klanglichen auch eine visuelle Choreografie inszeniert.
Text: Lea Letzel