Foto: Dudu Quintanilha

Tanya V. Abelson: DIAPASONN, Julián Galay über Kübel, Wöhr + Reinheimer Stiftung, Berlin, 2024

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DIAPASONN, Tanya V. Abelson und Julián Galay über Kegeln

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Tanya V. Abelson und Julián Galay mit Kreuzen, Wöhr + Reinheimer Stiftung, Berlin, 2024

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Foto: Tanya V. Abelson

Installationsansicht DIAPASONN, Wöhr + Reinheimer Stiftung, Berlin, 2024

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Stipendiatin
Tanya V. Abelson

Tanya V. Abelson – Argentinien – macht Kunst in den Bereichen Skulptur, experimenteller Geigenbau und Mode. 2018 Abschluss des Studiums an der Städelschule in Frankfurt am Main. Ausgehend von Archivrecherchen untersucht Tanya in ihrer Arbeit in einem explorativen Prozess Objekte mit biografischem Bezug. Werke und Gruppenarbeiten wurden in Deutschland, Großbritannien, Portugal, Argentinien und Brasilien ausgestellt. 2020 Auszeichnung mit dem Zonta Art Contemporary Förderpreis des Zonta Club Frankfurt II Rhein-Main. 2023 Teilnahme am CIRCA PRIZE und Residenzstipendium der Hessischen Kulturstiftung in London.

Luis Garay – Kolumbien/Argentinien – lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Master of Arts der Angewandten Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen in Performance und Choreografie. Luis hat ein ausgeprägtes Interesse für den Gegensatz zwischen Offenheit und Verschleierung und lädt das Publikum dazu ein, unkonventionelle Formen der Performance zu erleben. Aufführungen und Werke wurden unter anderem gezeigt im Haus der Kulturen der Welt in Berlin, im Haus der Kunst in München, auf dem Transform Festival in Leeds, im Kyoto Art Centre sowie im Centre Pompidou Metz.

DIAPASONN ist eine Untersuchung zu Stimmgabeln im Rahmen des Stipendienprogramms der Wöhr + Reinheimer Stiftung und wurde mit Unterstützung der Hessischen Kulturstiftung realisiert. Das Stück wurde von Luis Garay geschrieben und von Tanya V. Abelson, Dylan Kerr und Julián Galay unter der Mitwirkung von Luzie Meyer am 2. November 2024 in Berlin aufgeführt.

 

Luis Garay In Deinen jüngsten Projekten – so auch bei DIAPASONN – gibt es einen Sprung nicht nur in der ästhetischen und konzeptionellen Dimension, sondern auch einen Schritt hin zum Praktischen und Nützlichen. Etwa wenn Du Instrumente oder Kleidungsstücke herstellst. Mich interessiert die Wahl der spezifischen Materialien, die Du hierbei verwendest: Gummi und Metall. Wie bist Du dazu gekommen? Wie denkst Du darüber?

Tanya V. Abelson Für mich funktionieren Gummi und Metall wie Transmitter. Wenn Körper – im skulpturalen Sinne – Transmitter sind, dann hängt es von ihrem Material ab, wie sie in Resonanz gehen, was sie übertragen, sowohl symbolisch als auch physisch. In diesem Zusammenhang untersuche ich Gummi und Metall in ihrer Gegensätzlichkeit, sozusagen als die beiden Enden eines Kanals. Auf der einen Seite dieser sehr stille Ort des Gummis, still, weil Gummi so schwer und flexibel ist, und in großen Mengen unhandlich und dicht. Metall hingegen erscheint offensichtlicher und durchdringender, es erregt spontan mehr Aufmerksamkeit. Ich finde, dass beide Materialien dennoch eine Formbarkeit teilen, die ich gerne herausarbeiten möchte. Um nun auf die Idee der Übertragung zurückzukommen: Der Klang als inhärente Eigenschaft von Körpern – in diesem Fall aus Metall und Gummi – stellt für mich schon immer eine wichtige Leitfunktion in meiner Beziehung zum Material dar, das ich im Schaffensprozess von skulpturalen Musikinstrumenten verwende und dann zu Gehör bringe. Das Erklingen und damit dann auch das Hören von solchen Materialien hat etwas, das mich antreibt.

Garay Das ist schön, die scheinbare Stummheit des Gummis im Gegensatz zum schrillen Metall, als ob die Objekte der Welt eine akustische und vibrierende Präsenz haben, und was Du tust, ist, auf diese Präsenz hinzuweisen, indem Du diese Materialien in Instrumente oder Musik verwandelst.

Abelson Ja, von dort aus bin ich in den Geigenbau gegangen, in den Bau von Instrumenten und in Kreuzungstechniken. Aber ich glaube, es gibt für mich ein Vor- und ein Nach-dem-Kennenlernen der Kymatik. Die Kymatik befasst sich mit der Visualisierung von Klängen. Sie war einer der Grundpfeiler meiner Erkundungen in London. Als Teil dieser anfänglichen Forschung habe ich Wellentypen, Strömungen, Frequenzen und Synthesizer untersucht, sowohl hinsichtlich ihrer spezifischen Eigenschaften als auch ihrer Funktionsweisen. Hierbei habe ich mich immer ganz besonders für die Klangerzeugung interessiert. Die verschiedenen Disziplinen wie Physik, Quantenphysik und Metaphysik haben mir geholfen, zu verstehen, wie verschiedene Frequenzen in dem zu erforschenden Material ihre Fähigkeiten zur Gestaltenwandlung entfalten. Die Kymatik als Wissenschaft der Sichtbarmachung von Klängen hat für mich ein Tor zu den verschiedenen Welten aufgestoßen, in denen Stimmgabeln wirken können. 

Garay Was sind das für Stimmgabeln und wie bist Du zur Klangheilung gekommen?

Abelson Stimmgabeln sind Instrumente zur Messung von Schwingungen pro Sekunde. Je nach ihren Proportionen sind sie in der Lage, eine bestimmte Schwingung zu halten, das heißt eine bestimmte Frequenz; in der Musik ist das dann ein Ton. Hier fungieren sie als Instrumentenstimmer oder Einzeltoninstrumente. Heute werden Stimmgabeln in analoger Weise in verschiedenen weiteren Bereichen verwendet: von der traditionellen Medizin – in Ultraschallbehandlungen, die Gefäßsteine auflösen – bis zur Hochgeschwindigkeitsmessung und Schalltechnik. Basierend auf der traditionellen chinesischen Medizin werden sie in der Alternativmedizin in Klangheilungstherapien aus einer ganzheitlichen Perspektive gegen körperliche und seelische Symptome eingesetzt. Diese Behandlungsansätze sehen in der Regel zwei definierte Rollen vor: die des Praktikers und die des Patienten. Die genutzten Instrumente sind Stimmgabeln oder Quarzschalen, die gerade wegen ihrer anhaltenden Klangfrequenzen eingesetzt werden. Was diese Instrumente aktivieren, hängt mit dem Schwingungsfeld und dem akustischen Modus zusammen. Die Kraft der zeitlichen Dauer ihres Klingens hat die Macht, direkt mit unserer eigenen Endlichkeit in Resonanz zu treten. Inspiriert hat mich Lygia Clarks Videoarbeit Memória do Corpo (Erinnerung des Körpers) von 1984, in der die Begegnungen durch sensorische Erfahrungen stattfinden. Ich selbst bin vor allem daran interessiert, den Aspekt des kollektiven Klangerlebnisses zu untersuchen und die Aktivierung der Stimmgabeln weiter auszudehnen, um den Klang, aber auch die Erfahrung zu erweitern. Ich möchte eine Szenerie erschaffen, in der die verschiedenen Facetten dieser Klänge gemeinsam erfahrbar gemacht werden. Dazu bediene ich die Stimmgabeln und komponiere dabei einen synthetischen Klang, auf dessen Textur ich als Moderator aber direkt einwirke. Wenn ich so darüber nachdenke, habe ich das Gefühl, dass man auf der Bühne diese Erfahrung, die sich zu einem Klanglabor entwickelt, machen muss.

Garay An Deiner Gruppen-Vermittlerrolle interessiert mich der Ort, an den Du Dich begibst und eine experimentelle, spekulative und provisorische Rolle einnimmst. Ich möchte nun aber zu dem Vortrag übergehen, den Du mir zugeschickt hast, The Transmutation of Attitudes von Manly P. Hall, in dem darauf hingewiesen wird, dass bereits in unseren körpereigenen Verbrennungsverfahren ständige Umwandlungsprozesse stattfinden. Ich würde Dich gerne noch einmal zu diesem Aspekt der von Dir zuvor erwähnten Gestaltenwandlung befragen …

Abelson Die chemische Verbrennung von Nahrung, unserer Energie, ist poetisch und sehr konkret. Die emotionale Arbeit, die wir aufwenden müssen, um sozial zu funktionieren, ist enorm, und um diese Energie aufrechtzuerhalten ist eine hohe Effizienz erforderlich. Hier ein Gleichgewicht zu halten, verlangt sowohl unserem Körper als auch dem Geist einiges ab. Dabei gibt es so etwas wie ein Hintergrundrauschen, einen Zustand dauernder Wachsamkeit, in dem wir uns befinden, der dann kollektiv zu einer ständigen Beschleunigung unserer Realität führt. Dagegen setzt eine einfühlsame Begegnung, die dazu anregt, in sich hineinzuhören, einige Offenheit voraus. Für mich können Formveränderungen, die ich untersuche, einen ersten Schritt dahin darstellen, die eigene festgefahrene Position aufzugeben, um etwas Neuem, Subtilerem zu begegnen. 

Garay Was Du sagst, führt mich zu einer weiteren Frage: Wir sind gerade in einem Prozess, die psychische Gesundheit als etwas Kollektives und nicht als etwas Individuelles zu begreifen. Doch Ideen von Heilung oder Harmonie können leicht durch den Neoliberalismus instrumentalisiert werden und im Endeffekt Selbstbezogenheit vorantreiben.

Abelson Es handelt sich um ein Thema und eine Sprache, die auf gefährliche Weise banalisiert und mit dem Begriff „New Age“ in Verbindung gebracht werden können. Das ist ein neuer Lifestyle, bei dem es zwar einige Überschneidungen gibt, der aber nicht unbedingt den eigentlichen Ansatz der mich interessierenden Konzepte widerspiegelt. Der ursprüngliche Ansatz lässt sich tief zu den Wurzeln der menschlichen Zivilisationen zurückverfolgen. Die gesundheitlichen Grundlagen in der chinesischen Medizin beruhen auf Vorstellungen von Defizit und Überschuss für jedes der Organe, die zur Regulierung des Ganzen beitragen. Die Energie. Wie die Meridiane im Körper, die die Nadeln in der Akupunktur führen, sind dies die Punkte für die Stimmgabeln in Heiltechniken durch Frequenzschwingungen. Die Vertiefung des Konzepts der Bewegung lässt mich an die Kultur als besonderes Leitmedium denken, an die Musik als großen Dirigenten, und ich finde es fesselnd, diese persönliche und kleine Erfahrung in eine Aufführung einfließen zu lassen, die sich um die Idee eines Zugangs zu etwas eigentlich Bekanntem dreht. Es ist, als würde man zu sich selbst zurückkehren, anstatt auf sich selbst zurückzukommen, also anstatt sich um sich selbst zu drehen.

Garay Ich finde es interessant, dass die beiden Ideen, die Du gerade erwähnt hast, ähnlich, aber doch fast entgegengesetzt sind. Wenn man die Rückkehr zu sich selbst als Rückkehr in ein Schwingungsfeld oder in eine Art Schwingungsfeld versteht, das bereits hier war, dann ist das das Gegenteil der Rückkehr auf sich selbst, was einem Egotrip gleichkäme. Also im Sinne des an der amerikanischen Westküste großgewordenen Konzepts des „selfcare“, dem auch eine gewisse Selbstbezogenheit innewohnen kann.

Abelson Wenn ich an die Gesundheit insgesamt denke, sind die Auswüchse ganz klar: wir leben in einem Angstzustand. Die post-pandemische menschliche Erfahrung mit den Kriegen und Völkermorden unserer Tage rückt existenzielle Fragestellungen in den Vordergrund, die alles in Zweifel ziehen lassen, das Kollektive und das Persönliche. Ich denke auch oft daran, wie schwierig es für mich ist, spirituelle Konzepte, die in Lateinamerika ein eigenes Verständnis von Natur zulassen, auf den Europäischen Kontext zu übertragen. Ich denke an Widerstand in seiner ganzen Breite. Daher kommt diese Notwendigkeit, in einer Performance experimentelle Klänge zu erzeugen und damit etwas von der Magie des Rituals und ihrer Intimität mit dem Publikum zu teilen.

Übersetzung aus dem Spanischen ins Deutsche:
Yanne Horas, Frankfurt am Main 

 

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