© Städtische Museen Wetzlar, Foto: Kunstauktionshaus Lempertz
Wertherporzellan: Deckeltasse und Untertasse mit Szenen aus Goethes Werther, um 1790 ©

überformen

Manche der Wirklichkeit entnommenen Stoffe lösen einen Hype aus, wenn sie bei einer größeren Öffentlichkeit zu Euphorie und Anteilnahme führen. Stetes Beispiel: prominente Beziehungsgeschichten. Deren Akteure, faszinierend real, oft royal und dabei virtuell entrückt, regen ein Publikum zu allerlei Nachahmungen, Projektionen oder gar zu parasozialen Interaktionen an. Der Stoff mit Identifikationspotenzial ist dafür bestimmt, dass er in die Fiktion von Bestsellern oder Drehbüchern verschoben wird und ihm eine kommerzielle wie triviale Formung zukommt. Die jungen Idole der Zeit erscheinen im greifbaren Massenartikel, der die Faszination und Verehrung – zuweilen ironisch gebrochen – in verschiedene Lebensbereiche überträgt. Bewahrt doch so mancher eine Motivtasse mit royalem Traumpaar im Küchenschrank auf.

Es ist kein Phänomen erst der jüngeren Zeit, dass Werke und Figuren mit Kultstatus in Nebenprodukten, den Erkennungszeichen der Publikumszugehörigkeit, in die Breite wirken. Die Epoche der Empfindsamkeit setzt mit Goethes berühmtem Werther-Roman beziehungsweise dessen Haupt­figur den Anfang der Popkultur-Ikonen wie auch des Merchandisings. Der Stoff mit Bezug zur Wirklichkeit ist bekannt: Werthers unerfüllbare Liebe zu Lotte. Für eine enthusiasmierte internationale Anhängerschaft entstehen nach Erscheinen der Leiden des jungen Werthers (1774) Erzeugnisse, die private Lebensbereiche ‚wertheresk‘ überformen. Ein zwischen Prestigegut und Merchandising-Produkt liegendes Erzeugnis des sentimentalen Kults um 1790 ist Meissener Wertherporzellan der Marcolini-Zeit (1774–1814) mit Motiven aus dem Romangeschehen. Ein Grundtypus aus dieser Literaturporzellangruppe ist die mit kontrastierenden Bildpendants – Klavierszene und Pistolenübergabe – dekorierte Deckeltasse mit Untertasse. Jetzt ergänzt eine solche kunst- wie kulturgeschichtlich bedeutende Werthertasse das Sammlungs- und Forschungsgebiet der Goethe-Gedenkstätte Lottehaus in Wetzlar.

  • Städtische Museen Wetzlar
  • Erwerbung: Werthertasse
  • Lottehaus, Lottestraße 8–10, Wetzlar
  • Telefon +49 6441 99-4131
  • museum@wetzlar.de
  • www.wetzlar.de
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