Claus Richter
Geboren 1971
Reisestipendium der Hessischen Kulturstiftung 2005/2006:
Hollywood/Los Angeles, Indianapolis, Tokio
Fanszenen etablieren sich als Phänomene der Populärkultur bekanntermaßen im Sport, im Musikgeschäft und auch im Bereich des Films. Vor allem in den USA sind große Communities von Menschen, die sich regelmäßig treffen und Gegenstände, Kostüme und Kulissen aus ihren Lieblingsfilmen nachbauen, neu erfinden und Sequenzen nachspielen, sehr verbreitet. Speziell mit den Fankulturen von Science-Fiction- und Fantasyproduktionen beschäftigt sich der Künstler und Kulturwissenschaftler Claus Richter.
Richter, selbst bekennender Fan von Filmen wie Star Wars und Blade Runner, verwendet für seine eigene künstlerische Arbeit häufig rekonstruierte Artefakte aus Science-Fiction-Filmen, die er in Installationen, Videos und Texten präsentiert. Im Rahmen seines Reisestipendiums hat er unter anderem Massenveranstaltungen wie die weltweit größte Star-Wars-Konferenz besucht und dort Interviews mit Teilnehmern geführt. Seinen Blick hinter die Kulissen des internationalen Filmgeschäfts und in die parallelen Welten seiner Fans dokumentierte Claus Richter mit umfangreichen Film- und Videomaterialien.
Interview mit Claus Richter
Das Gespräch mit Claus Richter führte der Journalist und Kunsthistoriker Michael Reitz.
Richter fasziniert das Subversive in der Populärkultur, ihre imaginative Sprengkraft, die sie aus dem Umstand bezieht, dass sie Fiktion in Realität zurückverwandelt. Theoretische Grundlage bilden dabei für ihn die Publikationen des US-Kulturwissenschaftlers John Fiske, der mit seiner bahnbrechenden Arbeit Lesarten des Populären (Wien 2003) ein neues Bild des aktiven und kreativen Konsumenten entwarf. Im konkreten Fall der Fankultur bedeutet dies für Claus Richter: Der Betrachter wird selbst zum Gestalter und obwohl er Teil einer Massenkultur ist, schafft er mittels seiner eigenen Person und seines Engagements als Fan-tast Singularitäten.
Was sagt Claus Richter heute zu seinen Erfahrungen in den USA? Waren der direkte Blick und die Recherche vor Ort hilfreich für den Künstler und Wissenschaftler?
Reitz: Insgesamt sechs Wochen waren Sie im Jahr 2005 in den USA, haben dort die Fankultur untersucht und nach Impulsen für Ihre eigene künstlerische Arbeit gefahndet. Wenn Sie ein Ereignis herausgreifen müssten, das Sie in diesem Zusammenhang besonders beeindruckt hat, welches würden Sie da nennen?
Richter: Das war zweifellos die dritte „Stars-Wars-Celebration“ in Indianapolis, die größte Versammlung von Fans der „Star-Wars“-Filme weltweit. 35.000 Menschen versammelten sich dort – für einen Künstler, der über das Thema Fankulturen arbeitet, ein Eldorado. Es war wirklich großartig für mich, das live zu erleben, so eine Masse von Menschen, für die ein Lebensschwerpunkt das Fansein darstellt. Man muss sich das vorstellen: ganze Familien in original „Star-Wars“-Kostümen. Ich habe einige Interviews gemacht – wie übrigens die ganze Zeit in den USA –, Videos gedreht und Fotos geschossen. Ja, und kam aus dem Staunen nicht mehr raus.
Reitz: Was genau war daran so erstaunlich? Fans und ihre Szenen gibt es doch auch hier…
Richter: Ja, aber ich habe in den USA gemerkt, dass das Ausagieren des Fan-Lebens und -Erlebens mit viel größerer Selbstverständlichkeit betrieben wird, als das beispielsweise in Deutschland der Fall ist. Wesentlich entspannter, weniger psychologisierend hinterfragt oder stigmatisiert als ausgewachsene Macke. Nein, dort ist es eher eine alltägliche Sache, und ich fand es interessant, dass diese Leute sehr wohl differenzieren können zwischen ihrem Alltagsleben, der sogenannten konsensuellen Realität einerseits und ihren Spezialwelten andererseits, in denen sie sich als Fans aufhalten. Und es ist eine Spezialwelt, denn sie erweitert die herkömmliche um eine Sphäre, in der auch das Fantastische, das Fiktive nicht nur gleichsam als Unfall vorkommen darf, sondern als etwas, das seinen festen Platz hat.
Reitz: Was würden Sie sagen, ist das eine Gegenwelt oder eher eine komplementäre Welt oder gar eine Art von Kultur- bzw. Zivilisationskritik?
Richter: Es ist eher eine starke Annahme von dem, was ist. Ich glaube, als Kritik ist es nicht gesehen, sondern wie eine aktive Umwandlung, kein reiner Konsum. Das ist ja so das alte Bild: Man geht ins Kino, man nimmt den Film auf und geht. Da ist dann oft die Rede von der Gefahr, die Medien haben können, dass man glaubt, die Leute werden einer Gehirnwäsche unterzogen oder übernehmen unkritisch das, was passiert. Die Theorien der Cultural Studies zeigen jedoch, dass das genau nicht der Fall ist, sondern dass Leute mit den Medien zwar nicht hyperkritisch umgehen, aber kreativ. Dass sie Sachen ändern und in ihrem eigenen Milieu umdeuten, so dass es für sie selber wieder Sinn macht. Science-Fiction-Fans sind alles andere als regredierend und eskapistisch.
Reitz: Man kann also in den Fankulturen Dinge erleben, die man anderswo so nicht erfährt?
Richter: Ich glaube schon, dass dort auf jeden Fall eine unglaubliche Verdichtung stattfindet, dass in der Gruppe Dinge passieren, die sonst nicht geschehen. Ich habe Situationen gesehen, die ganz speziell waren und die auch etwas Utopisches hatten. Ein Beispiel: Bei dem Star-Wars-Treffen war eine große Fanhalle errichtet worden, in der nachgebaute Raumschiffe standen. Das allein war schon faszinierend. Dann gab es einen abgezirkelten Bereich, wo Mütter, Väter und Kinder Lichtschwertduelle machten, als Freizeitvertreib für die Kinder. Das war wirklich wie in einer Hippiekommune. Ich denke, dass so etwas zwei völlig verschiedene Dinge zusammenmischt, auf der einen Seite das Kommunenhafte und auf der anderen Seite etwas völlig Absurdes, wie diese fiktive Übernahme von Lichtschwertern, die gar nicht funktionieren. Das ist tatsächlich in dem Sinn neu, weil es rekombiniert, wie alles Neue eben Rekombination ist. Von Jean Baudrillard stammt, glaube ich, das schöne Zitat, Disneyland sei deshalb so künstlich, damit man nicht merke, wie künstlich Los Angeles sei. Die Welt drumrum ist viel künstlicher als das, was von sich aus schon behauptet, künstlich zu sein.
Reitz: Indianapolis war aber hoffentlich nicht die einzige Station Ihrer Reise, denn Sie hatten ja auch vor, sich die Entstehungsorte von Science-Fiction-Filmen wie Star Wars oder Blade Runneranzusehen. Was war das Zweitspektakulärste, das Sie erlebt haben?
Richter: In dem Hotel zu wohnen, in dem Janis Joplin ihre letzte Flasche Southern Comfort getrunken hat. Mitten in Hollywood, denn da bin ich als nächstes hingefahren. Als Künstler und Fan arbeite ich eben selber sehr gern mit Ausstattungsgegenständen aus Science-Fiction-Filmen. Und da bin ich an einigen Stellen in Los Angeles und Kalifornien fündig geworden. Es gibt eine ganze Reihe von Läden, die alte gebrauchte Filmkleidung verkaufen – ich mag solche Devotionalien, Gegenstände, die mit diesem Wert aufgeladen sind. Ich habe auch einige Original-Filmsets besucht.
Reitz: Haben Sie ein Beispiel dafür, was man mit diesen Props, also den Nachbauten von Kostümen oder Originalgegenständen aus Filmen als Künstler machen kann?
Richter: Ja, es gibt in Los Angeles einen Laden, der heißt It’s a Wrap, und da konnte man früher eine ganze Reihe von solchen Dingen finden, zum Beispiel die Kostüme aus meinem Lieblingsfilm Blade Runner, die allerdings leider nur 1982, zum Erscheinungszeitpunkt des Films zu haben waren. In einem anderen Geschäft fand ich einen Helm aus dem Film Starship Trooper von Paul Verhoeven, auch so ein Leckerbissen für mich. Diesen Helm habe ich dann in Kraichtal bei der Ursula-Blickle-Stiftung für eine Einzelausstellung von mir verwendet – als Idee davon, was mit solchen Dingen geschieht, die für mich einen hohen Wert haben. Denn ich finde es persönlich erstaunlich zu sehen: Diese Artefakte sind wirklich greifbar, genauer gesagt, be-greifbar. Für einen Fan, vielleicht auch für einen Künstler, geht es immer auch um das Haptische. Es geht tatsächlich um das fiktive Objekt aus dem Film, es vor die Leinwand zu transportieren. Ein Fan, der einen Gegenstand aus einem Film besitzt oder ihn nachbaut, holt ihn aus diesem Medium heraus und verpflanzt ihn so in seine eigene Welt. Denn da kann er dieses Fiktive, das, was er bisher nur in dem Film sah, auch selbstständig verändern, damit umgehen und es zur Aktion bringen. Fans, und das war einer der Beweggründe meines Interesses, sind hier ungeheuer kreativ. Wenn man sich zum Beispiel das Fanwriting ansieht: da werden Szenen aus Filmdrehbüchern verändert und ins Web gestellt. Das, was in der Fiktion bereits passiert ist, wird weiter gebaut, weiter recherchiert – ohne dass ein fataler Sprung in eine virtuelle Realität geschehen würde. Bei dem ganzen Auf- und Verlorengehen in der Fiktion geht es den Fans immer auch darum, dies selber zu tun und immer wieder zurückkehren zu können. Die Grenze ist immer eine semipermeable Wand, die nach beiden Richtungen hin durchlässig ist. Die Leute können schon sehr gut unterscheiden zwischen Fiktion und Realität – und sie übernehmen in ihrer eigenen persönlichen Realität die Fiktion, holen sie mit rein. Der Spaß besteht darin zu wissen, okay, ich habe mein normales everyday life. Aber darauf aufbauend gibt es noch eine zweite Welt. Ich habe während meines Aufenthaltes in den USA niemanden kennen gelernt, der darin verschütt gegangen wär.
Reitz: In einem Essay über die Anfänge der Filmkunst schrieben Sie, dass bereits am Beginn der Illusion Film zwei Positionen existierten: die der Brüder Lumiére, die eine exakte Kopie der Wirklichkeit im Sinn hatten, und die von Georges Méliès, der mit dieser Technik ganz neue Welten simulieren wollte. Ein Stück weit scheint sich das in der Fankultur unter umgekehrten Vorzeichen zu wiederholen, denn dort wird versucht, eine Nicht-Realität in die Realität zu holen. Banale Frage: Warum macht man so etwas?
Richter: Das ist ganz einfach desire, Verlangen. Das schönste Beispiel ist hier das Lichtschwert aus Star Wars. Ich glaube, dass Science Fiction ja immer als Utopie funktioniert und Möglichkeiten aufzeigt. Wenn man jetzt aber im Kino eine Möglichkeit sieht, die einem wirklich gut gefällt, hat man das Problem, es existiert in dem fiktiven Raum, aber eben nicht in der Realität. Was kann man machen? Man kann entweder Wissenschaftler werden und vierzig Jahre forschen und sehen, wie funktioniert das. Oder aber man kann versuchen, das so weit wie möglich zu simulieren. Ich glaube, das passiert sehr häufig. Man hat einen Gegenstand als greifbaren Testversuch zur Verfügung und stellt sich als Fan die Frage: Wie funktioniert so ein Ding? Die Lichtschwerter, die die Fans nachbauen, simulieren eben nur das Lichtschwert aus dem Film. Der Fan setzt da an, weil er versucht, die Funktion nachzuvollziehen und mit Imagination auszufüllen – um sie so dann doch wieder in die Realität zu überführen. Das führt soweit, dass ein Fan seine gesamte Wohnung umgebaut hat wie eine Kommandobrücke von Star Trek. Da findet das Leben wirklich in einem Umfeld statt, das vom Design her komplett auf dem Film basiert. Was ich aber für eine ganz normale Vorgehensweise halte. Für mich ist das eine Entscheidung, ob ich Landhausstil als Lebensumfeld haben will oder eben Star Trek. Es ist gar nicht so freakig, wie es erscheinen mag, und für mich ist auch die Idee, ein Laserschwert nachzubauen, nicht viel seltsamer als die Idee, sein Auto zu tunen oder zu sagen, mit Spoiler fahr ich schneller. Im Endeffekt sind es materielle Ergänzungen dessen, worauf wir uns geeinigt haben, es als real zu bezeichnen. Und sie transportieren einen Inhalt.
Reitz: Was hat Sie ursprünglich bewogen – neben Ihrem Dasein als Fan von Blade Runner –, sich wissenschaftlich und künstlerisch mit dem Thema „Fankulturen“ auseinander zu setzen?
Richter: Ungefähr zwei Jahre, bevor ich das Stipendium der Hessischen Kulturstiftung bekommen habe, habe ich angefangen, an meine Kindheit zurückzudenken. Ich bin immer schon in Science-Fiction-Filme gerannt und war verrückt nach dieser Welt. Ich merkte: genau das interessiert mich jetzt wieder, es klinkt sich sozusagen ein in die Kunst. Alles, was ich vorher gemacht habe, hatte schon damit zu tun. Es baute sich etwas auf für mich. In dem Moment, in dem ich mich beworben habe, steckte ich schon tief in der Recherche.
Reitz: Wie sieht das in der künstlerischen Umsetzung aus, wo würden Sie Ihre künstlerische Leistung verorten?
Richter: Also zunächst: ich recherchiere. Ich zeige in jeweils kleinen Ausstellungen Fanzines, das sind Studien, in denen es um Science-Fiction-Design geht, da wird dann genau recherchiert, wann ist das gebaut, wer hat das entworfen, wie wurde es verwertet und wo ist es heute. Das ist ein Teil, den ich einfließen lasse und ein anderer Teil ist, dass ich selber Gegenstände nachbaue aus Filmen, da versuche ich in diese Kulissenhaftigkeit oder in die Hintergründe von künstlichen Filmwelten einzutauchen. Ich habe zum Beispiel eine Geisterbahn gebaut, Vorbild war ein real existierender darkride aus Disneyland. Dann habe ich mal für ein Projekt Parkuhren aus Blade Runner nachgebaut. Das sind Dinge, die ich liebe. Alles selber zu bauen, es gibt keine Grenzen – das ist eigentlich auch ein extrem optimistischer Gedanke für mich. Im nächsten Jahr steht noch eine Reise nach Tokio an, da werde ich mich zusätzlich mit den Cosplayern (zusammengesetzt aus costume und play) auseinandersetzen. Das sind Menschen, die in Kostümen aus Filmen, meistens Mangas, herumlaufen – ein weiteres Feld, wo Science Fiction und Realität miteinander verzahnt ist.
Reitz: Inwiefern hat das Stipendium Sie und Ihre Arbeit weitergebracht – Sie sprachen damals in Ihrer Antragsbegründung von einem möglichen Quantensprung. Hat er stattgefunden?
Richter: Mir hat es extrem viel gebracht, denn ich hatte die first hand experience. Ich konnte mir die Fans aus der Nähe ansehen. Wie sie es machen, Sachen aus der Fiktion in die Realität zu holen. Das war schon ein großer Sprung, selber zu schauen, in Kontakt zu kommen. Das ist für einen Künstler und Wissenschaftler von unschätzbarem Wert, etwas eben nicht nur aus medialer Vermittlung zu kennen, sondern aus unmittelbarer Anschauung. Ich habe auch einfach noch genauer gespürt, wo es für mich hingeht, denn es ist sehr viel von meinen Fankultur-Studien in meine künstlerische Arbeit eingeflossen. Das Stipendium, die Reise in die USA, ist etwas gewesen, was die Entscheidung noch stärker gefestigt hat, bei dem Thema zu bleiben – ich arbeite weiter daran und immer noch mit großen Vergnügen. Mein Feld ist jetzt noch erweitert worden um die Theme-Parks, wie zum Beispiel Disneyland, das ich auch in Los Angeles besucht habe. Ebenfalls ein Feld, in dem professionell Fiktion zur Realität wird, indem Märchenschlösser und Zauberwälder gebaut werden. Oder auch das Pariser Eurodisney, zu dem ich noch recherchieren werde. Außerdem wurde ich vor einiger Zeit zum ersten Mal als Redner zu einem Cultural-Studies-Kongress nach Istanbul eingeladen – ohne meine in den USA gemachten und publizierten Erfahrungen wäre das wohl kaum geschehen!